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Warum die Mandaukaserne nie Landratsamt wurde

Die Pläne lagen in der Schublade. Als Verwaltungsgebäude in Zittau nicht geeignet, sagten die Gutachter damals.

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© Thomas Mielke

Von Mario Heinke

Zittau. In der Diskussion um das Schicksal der maroden Mandaukaserne taucht immer wieder die Frage auf: Warum ist das monumentale Gebäude in den 1990er Jahren nicht zum Landratsamt ausgebaut worden?

Die noch nie veröffentlichte Planung für ein innenstadtnahes Verwaltungszentrum sah vor, die Kreisverwaltung und Teile der Stadtverwaltung am Martin-Wehnert-Platz anzusiedeln.
Die noch nie veröffentlichte Planung für ein innenstadtnahes Verwaltungszentrum sah vor, die Kreisverwaltung und Teile der Stadtverwaltung am Martin-Wehnert-Platz anzusiedeln. © Archiv/Stadtentwicklungsgesellschaft

Die SZ hat versucht, eine Antwort zu finden, sprach mit Zeitzeugen und fand im Archiv der Zittauer Stadtentwicklungsgesellschaft einen Bebauungsplan für den Martin-Wehnert-Platz. Der Plan ist zu keiner Zeit veröffentlicht worden und nie aus der Schublade heraus gekommen, bestätigt Bernhard Fechner. Er war bis 1990 Zittauer Stadtarchitekt und arbeitete danach bis zum Ruhestand in der Stadtsanierungsgesellschaft. „Wir wollten gleich nach der Wende das gesamte Armeegelände abreißen und der Natur zurückgeben“, erinnert er sich.

Bekanntlich kam alles anders. Der Kreis ließ auf dem ehemaligen Armeegelände an der Hochwaldstraße mehrere DDR-Plattenbauten für seine Verwaltung umbauen und erweitern. Bei der Einweihung im Mai 1994 erklärte der damalige Landrat Christian Neumann, dass die Zentralisierung der Ämter ein wesentlicher Grund für den Neubau gewesen sei. Zuvor war die Verwaltung in 13 verschiedenen Gebäuden untergebracht. Die Kosten bezifferte der Kreis mit 24,3 Millionen D-Mark. Fechner bestreitet das: „Das hat 30 Millionen gekostet“. Er kann die Standortentscheidung bis heute nicht akzeptieren und hält sie für einen folgenschweren Fehler. „Einem Stadtplaner wäre es nie in den Sinn gekommen, das Verwaltungszentrum aus dem Stadtkern zu verbannen“, sagt Fechner. Er gab einem Zittauer Planungsbüro Anfang der 1990er Jahre den Auftrag, einen Bebauungsplan für den Martin-Wehnert-Platz zu erarbeiten. Der Plan sah vor, die Mandaukaserne zum Verwaltungsgebäude für den Landkreis auszubauen. 21 Millionen D-Mark sollte die Sanierung kosten. Im Umfeld der Mandaukaserne sollten Stadt und Wohnbaugesellschaft Neubauten errichten. Auch das Technische Rathaus sollte dort einziehen, die restlichen Flächen waren in der Planung für Wohnungen und Gewerbe vorgesehen. Die sehr großzügig anmutende Bebauung ist ein Indiz dafür, dass zu Beginn der 1990er Jahre noch niemand ahnte, wie schwerwiegend der Bevölkerungsschwund in den folgenden Jahren werden würde. Nach den Vorstellungen der Planer sollte das Areal am Martin-Wehnert-Platz zum zentrumsnahen Verwaltungszentrum werden. Die Mandaukaserne spielte dabei eine zentrale Rolle.

Geschichte der Mandaukaserne

1868: Erbauung als Regiments-Unterkunft für 1200 Mann.

Bis 1918 militärische Nutzung.

Ab 1920 Wohnungen für bis zu 500 Personen.

1960: Der VEB Kommunale Wohnungsverwaltung übernimmt die Immobilie.

1994: Das Gebäude geht in Landeseigentum über.

1997: Baupolizeiliche Sperrung.

1999: Günter Willig kauft.

2004 stirbt der Investor. Seine Erben versuchen die Kaserne zu verkaufen.

2010: Verkauf an die Pajona-Stiftung, die eine Akademie gründen will.

2011: Rückabwicklung des Verkaufs.

2012: Erben suchen Investoren für ein „Mandau-Center“.

November 2013: Absperrung des Grundstücks mit einem Bauzaun.

August 2014: Versteigerung.

November 2014: Ein Bauunternehmer plant eine Senioren-Wohnanlage.

Mai 2015: Bauunternehmer zahlt nicht.

Oktober 2015: Stadtrat beschließt Kauf, um die Mandaukaserne abzureißen.

November 2015: Die Stadt gibt die Abrisspläne auf und sucht eine Lösung.

Dezember 2015: Das Zittauer Stadtforum sammelt Spenden, um den Südturm zu sichern.

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Die Menschen, die damals Verantwortung trugen, erinnern sich, warum es nie dazu kam. Jürgen Kloß war Zittaus erster demokratisch gewählter Bürgermeister nach der politischen Wende. Er erklärt, dass die Mandaukaserne 1990 zunächst der Stadt Zittau gehörte, weil der Einigungsvertrag vorsah, dass öffentliche Gebäude mit Wohnungen den Kommunen zugesprochen werden. Weil die Stadt aber keinen Bedarf für das riesige Gebäude hatte, habe er dem Landrat Heinz Eggert die Mandaukaserne angeboten, sagt Kloß und fügt an: „Er wollte sie nicht haben“.

Gegenüber der SZ bestätigt Heinz Eggert die Offerte des Bürgermeisters. Die Kreisverwaltung sollte aus dem Gebäude in der Bahnhofstraße ausziehen, sagt Eggert. Er habe deshalb ein Gutachten in Auftrag gegeben. Die Gutachter sollten prüfen, ob die Mandaukaserne als Verwaltungsgebäude für den Kreis geeignet wäre. Das Ergebnis des Gutachtens sei eindeutig gewesen, so Eggert. Die Mandaukaserne ist zu klein, eine Änderung der Grundrisse lässt sich nicht mit dem Denkmalschutz vereinbaren, Umbau- und Folgekosten sind viel zu hoch, so das Urteil der Gutachter in Kurzfassung. „Die Fachleute hielten einen Umbau der Mandaukaserne zum Verwaltungsgebäude für reine Steuergeldverschwendung“, sagt Heinz Eggert. Auf Grundlage dieses Gutachtens habe er deshalb noch kurz vor seiner Berufung als sächsischer Innenminister im September 1991 entschieden, die leerstehenden Gebäude im ehemaligen Armeegebiet zur Kreisverwaltung ausbauen zu lassen.

Birgit Kaiser kann sich nicht mehr genau erinnern, wie die Entscheidung, das Landratsamt an der Hochwaldstraße zu bauen, letztendlich zustande kam. Die Chefin der Zittauer Stadtentwicklungsgesellschaft sagt mit einem Blick auf den Bebauungsplan von damals: „So würde heute niemand mehr bauen“. Der Blick in die Vergangenheit hilft den Stadtentwicklern heute wenig, daran lässt Frau Kaiser keinen Zweifel. Die Stadtentwickler müssen sich bei ihrer Arbeit ständig mit den Folgen auseinandersetzen. Sie kämpfen gegen den Leerstand zahlreicher historischer Gebäude und versuchen das Stadtzentrum zu beleben. Unmittelbar nach der Ansiedlung des Landratsamtes an der Hochwaldstraße sind das Altenheim „Haus zur Sonne“, verschiedene Hochschuleinrichtungen und das Humboldt-Center entstanden. So wurde ein zweites Stadtzentrum geschaffen, das in permanenter Konkurrenz zur Innenstadt steht. Das macht die Arbeit der Stadtentwickler nicht leichter.

1994 bekam der Freistaat die Mandaukaserne zugesprochen, nachdem ein Gericht dem Restitutionsanspruch Sachsens stattgab. Ex-OB Jürgen Kloß sagt: „Wir waren froh, als wir das Gebäude los waren“. 22 Jahre später landet die Mandaukaserne wieder auf dem Tisch der Stadtentwickler. Eine Projektentwicklungsgruppe für Standortentwicklung soll nun versuchen, eine sinnvolle Nutzung für das Baudenkmal zu finden. „Das braucht Zeit“, sagt Birgit Kaiser, um den immensen Erwartungsdruck zu dämpfen.