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Warum ausgerechnet er?

Der Syrer Anas soll nach Bulgarien abgeschoben werden. Das verstehen nicht mal seine Kollegen, die einst Pegida unterstützten.

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© Christian Juppe

Von Anna Hoben

Wie geht es Ihnen, Anas? „Mir geht’s gut“, sagt der junge Mann und lacht, „alles in Butter“. Eine hübsche Redewendung, die er gelernt hat. Nur passt sie gerade kaum zu seiner Situation. Jederzeit können Polizisten vor der Tür stehen, jederzeit kann er nach Bulgarien abgeschoben werden. In ein Land also, von dem das Auswärtige Amt bestätigt, dass Flüchtlinge dort menschenunwürdig behandelt werden.

Anas Tabbakh, geboren 1988 in Aleppo, Syrien, von Beruf selbstständiger Tischler. Im syrischen Bürgerkrieg traf eine Bombe seine Tischlerei. Sein Glück: Er war in dem Moment nicht im Haus. Sein Unglück: Maschinen, Material, Existenzgrundlage – zerstört. Den letzten Ausschlag zur Flucht gab die Tatsache, dass er zur Armee eingezogen werden sollte. Anas floh über die Türkei nach Bulgarien. Dort wurde er aufgegriffen, verbrachte einen Monat im Gefängnis und fünf Monate in einem Lager. Im August 2014 gelangte er nach Deutschland.

Er landet in Dresden. Bei der Initiative DAMF absolviert der 27-Jährige einen Alphabetisierungskurs, weil er das lateinische Alphabet nicht kennt. Die Abkürzung steht für Deutschkurse Asyl Migration Flucht, 2015 hat sie von Bundesministerin Manuela Schwesig (SPD) den Deutschen Ehrenamtspreis verliehen bekommen. Seiner Kursleiterin Christel Matzke, sie ist pensionierte Fremdsprachenlehrerin, fällt gleich auf, dass Anas besonders ist. Besonders engagiert, besonders fleißig, besonders kommunikativ. Er macht schnell Fortschritte. Das Geld für einen Folgekurs an der Volkshochschule spart der junge Syrer selbst zusammen. Christel Matzke, 66, unterstützt ihn fortan bei Behördengängen und der Bewältigung des Alltags.

An einem Nachmittag Ende Februar sitzt Anas am Wohnzimmertisch von Christel Matzke am Dresdner Stadtrand, zusammen mit René Käubler und Pierre R., der nicht mit vollem Namen in der Zeitung stehen möchte. Käubler ist Matzkes Nachbar, zusammen mit einem Geschäftspartner betreibt der 43-Jährige eine kleine Firma: Fenster, Türen, Rolläden. Sieben Mitarbeiter haben die beiden, darunter Pierre R. Im Juni 2015 spricht Christel Matzke ihren Nachbarn zum ersten Mal an: ob er nicht einen Job habe? Sie kenne da diesen engagierten syrischen Flüchtling, der Arbeit suche und ein guter Handwerker sei.

Käubler weiß nicht so recht. Wie soll das funktionieren? Da wäre, auf der einen Seite, ein neuer Mitarbeiter, der nur leidlich Deutsch spricht und zudem aus einem anderen Kulturkreis stammt. Da wäre, auf der anderen Seite, die Belegschaft, die den Flüchtlingen gelinde gesagt nicht gerade wohlwollend gegenübersteht. Die meisten von ihnen sympathisieren mit Pegida. Käubler beschließt dennoch, das Experiment zu wagen. Die Reaktionen der Kollegen sind ernüchternd. „Wie sollen wir mit einem Muslim unsere Arbeit schaffen, wo er doch laufend betet?“ Die Frage an den Chef gehört noch zu den harmloseren.

Am 11. August 2015 hat Anas seinen ersten Arbeitstag. Der Start ist mühsam. Ein Kollege weigert sich sogar, mit dem Neuen zusammenzuarbeiten. Auch Pierre R. ist alles andere als begeistert. Doch dann passiert etwas Überraschendes. Tag für Tag, Woche für Woche, kippt die Stimmung – ins Positive. Die Kollegen merken: Der kann was. Der hat Humor. Der packt an, ist geschickt und will lernen. Die Kollegen finden plötzlich Spaß dabei, ihm Deutsch beizubringen. Sie erklären ihm ihre Handwerker-Welt. Anas legt ein Vokabelheft an: Kabeltrommel, Leiter, Lampe, Akkuschrauber, Bohrmaschine. Er zeichnet einen Besen, daneben schreibt er: Besen.

Die Begegnung mit Anas stellt die Meinung der Kollegen zum Thema Flüchtlinge auf den Kopf. „So Fleißige wie er können ruhig bleiben“, sagen sie jetzt. Sie helfen ihm in der Mittagspause: „Das ist Schwein, das kannst du nicht essen.“ Eines Tages fragt Anas, ob er kurz in einer ruhigen Ecke der Baustelle seinen Teppich ausrollen dürfe. Er tut es diskret, das Gebet dauert nicht lange. Keiner der Kollegen stört sich daran. Wenn sie nach getaner Arbeit ein Bier aufmachen, trinkt Anas Tee.

Heute ist er ein beliebter Kollege in der kleinen Firma. Der Mitarbeiter, der sich anfangs weigerte, mit ihm zu arbeiten, nennt ihn jetzt „mein Freund“. Seit Kurzem ist die Probezeit vorbei, Anas hat nun einen unbefristeten Arbeitsvertrag. Er bekommt Tariflohn, er bezahlt Steuern an den deutschen Staat. René Käublers Experiment ist geglückt. „Wenn jeder Betrieb in Dresden nur einen Flüchtling nehmen würde“, sagt er, „wäre schon viel geholfen.“

Doch nun ist Anas’ Asylantrag vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge abgelehnt worden. Der Grund: Der Syrer war auf seiner Flucht bereits in Bulgarien registriert worden. Und nach dem Dublin-Abkommen muss ein Flüchtling in dem Land bleiben, in dem er zum ersten Mal europäischen Boden betreten hat.

Über Bulgarien schrieb das Auswärtige Amt im Juli 2015: Der Zugang zum Arbeitsmarkt für anerkannte Schutzberechtigte ist äußerst erschwert. Sie haben keinen Zugang zum Gesundheitssystem. In der Regel bedeutet der Erhalt eines Schutzstatus Obdachlosigkeit. Flüchtlinge nach Bulgarien abzuschieben, so die Schlussfolgerung des Auswärtigen Amtes, setzt sie schwersten Menschenrechtsverletzungen aus.

Am Wohnzimmertisch von Christel Matzke redet sich nun Pierre R. in Rage. Es ist nicht so, dass er plötzlich die aktuelle Flüchtlingspolitik gutheißt. Aber dass ausgerechnet Anas abgeschoben werden soll, das hält er für eine himmelschreiende Ungerechtigkeit. Anas, das Musterbeispiel für Integration. Der in Dresden in einem Chor singt und Fußball spielt, der eine deutsche Freundin hat, deren Eltern ihn mittlerweile akzeptieren. Der Schlichter, der immerzu den Dialog sucht. Der Süßigkeiten backt und sie an Anwohner verschenkt, die gegen ein Asylheim protestieren.

Seine herzliche Art wirkt. Bei protestierenden Anwohnern und bei seinen Kollegen. Man kann sagen, dass Anas deren Leben verändert hat. Kürzlich zum Beispiel, da beschwerte sich der zwölfjährige Sohn von Pierre R. zu Hause darüber, dass er keinen Sport mehr machen könne, „weil die ganzen Ausländer jetzt da sind“. In seiner Turnhalle sind Flüchtlinge untergebracht. Der Vater reagierte, indem er von seinem neuen Kollegen erzählte und dem Sohn ein Foto von Anas zeigte. „Der ist arbeitsam und nett“, sagte er, „nur das zählt.“

Anas’ Freunde rund um Christel Matzke versuchen alles, um die Abschiebung abzuwenden. Seine Rechtsanwältin wollte erreichen, dass das Asylverfahren wieder aufgenommen wird – abgelehnt. Bei der Ausländerbehörde hat sie darum gebeten, dass Anas wegen seiner Arbeit eine Aufenthaltsgenehmigung bekommt – telefonisch abgelehnt. Die Freunde haben die sächsische Härtefallkommission eingeschaltet – nicht zuständig, heißt es aus der Behörde des sächsischen Ausländerbeauftragten. Man entscheide nicht über die Abschiebung von Flüchtlingen, die unter die Dublin-Verordnung fallen. Doch das ändert nichts an den Verhältnissen in Bulgarien. Wozu, fragt nicht nur Christel Matzke sich, gibt es denn eine Härtefallkommission?

Zwölf Unterstützerschreiben haben seine Freunde gesammelt. Alle loben Anas in den höchsten Tönen. Seinen Integrationswillen, sein Vermittlungsgeschick, seine Ehrlichkeit. „Er ist ein leuchtendes Beispiel für andere Flüchtlinge“, sagt Christel Matzke. „Da hat es einer geschafft, sich zu integrieren“, sagt René Käubler, „und dann wollen sie ihn wegschicken“. Und Anas? „Ich kann nicht nach Bulgarien“, sagt er. Er hat traumatische Erinnerungen an das Land. Eher würde er nach Syrien zurückgehen. Wenn der Krieg vorbei ist, will er das ohnehin. Sein Land aufbauen. Seinen Betrieb wieder eröffnen, mit den deutschen Maschinen, die er so schätzt.

Also erträgt er die Ungewissheit. Er wartet und hofft, dass sich doch noch eine Möglichkeit auftut. Er freut sich, dass er weiterhin arbeiten darf. „Bis Montag“, sagt Pierre R. zu Anas und gibt ihm zum Abschied die Hand, „pünktlich um sieben“.