Merken

Warten, bis der Arzt kommt

Was Kinderärzte angeht, gilt Riesa-Großenhain als überversorgt. Eltern und Mediziner empfinden das ganz anders.

Teilen
Folgen
© Klaus-Dieter Brühl

Von Catharina Karlshaus und Britta Veltzke

Riesa/Großenhain. Husten, Schnupfen, Fieber – die ungemütliche Jahreszeit mit all ihren gesundheitlichen Tücken nimmt gerade so richtig Fahrt auf. Dumm nur, wenn sich der Besuch eines Arztes zum wahren Hindernisparcours entwickelt: „Meine Tochter hatte am letzten Dienstagmorgen plötzlich Durchfall und Fieber über 38 Grad. Also rief ich bei unserer Kinderärztin Frau Spargen in Großenhain an. Doch leider Fehlanzeige“, erzählt Janine Eißler* im SZ-Gespräch. Optimistisch habe sie es daraufhin bei den anderen beiden in Großenhain niedergelassenen Kinderärztinnen versucht. Doch weder bei Vera Illig noch bei Rosemarie Kandzia habe sie Erfolg gehabt. „Das müssen Sie sich mal vorstellen! In einer Stadt wie Großenhain, die attraktiv für Familien sein will, hatte an diesem Tag kein einziger Kinderarzt auf“, empört sich Janine Eißler. „Ich habe die Kleine dann notgedrungen zu Hause betreut und bin nach Dienstschluss meines Mannes mit ihr nach Riesa gefahren“, so die 33-jährige Röderstädterin.

Künftig könnte es im Raum Riesa-Großenhain noch enger mit der Versorgung werden. Am 31. Januar 2017 wird Rosemarie Kandzia in Großenhain definitiv in den lang angekündigten Ruhestand gehen. Dies wird sich auch auf die Riesaer Praxen auswirken. „Sicherlich wird es durch die Schließung auch zu einer verstärkten Nachfrage in den drei Riesaer Kinderarztpraxen kommen“, befürchtet die Riesaer Kinderärztin Dr. Kathleen Kunze. „Der Großteil der Großenhainer Patienten wird sich jedoch bemühen, in einer der beiden verbliebenen Kinderarztpraxen wohnortnah aufgenommen zu werden.“

Ein wackliges Konstrukt – sollte im Urlaubsfall eine Kollegin krank werden. „Genau das war nämlich die Ursache für die Situation in der vergangenen Woche. Frau Illig war im Urlaub und Frau Kandzia, die seit Juli ohnehin veränderte Sprechzeiten hat, war auch krank“, erklärt die Großenhainer Medizinerin Christine Spargen. Nachdem sich die noch immer erkältete Ärztin bereits durch zwei Bereitschaftsdienste geschleppt hatte, sei an besagtem Dienstag ihr Kreislauf zusammengebrochen. Wenigstens für diesen einen Tag habe die 55-Jährige notgedrungen ihre Praxis geschlossen – um schon am Mittwochnachmittag wieder ihre Patienten zu empfangen.

In Riesa klingt die Situation weniger dramatisch – doch auch nicht wirklich entspannt: „Nachdem im Sommer dieses Jahres unsere Nünchritzer Kollegin Helga Boitz ihre Praxis schließen musste, wurde ein Großteil ihrer Patienten durch uns drei Riesaer Kinderärzte aufgenommen“, so Kathleen Kunze. Das stelle eine erhebliche Herausforderung dar. „Impf- und Vorsorgetermine müssen neu und vor allem längerfristig koordiniert werden. In der jetzigen Infektionszeit behandeln wir pro Sprechstunde um die 80 bis 100 kleinen Patienten, so dass die Eltern mit Wartezeiten von über zwei Stunden rechnen müssen.“ Daher könne von einer zufriedenstellenden Situation weder für die kranken Kinder, deren Eltern noch für die Kinderärzte die Rede sein. „Leider ist eine kurzfristige Lösung dieses Problems nicht in Sicht. Dennoch können sich die Eltern darauf verlassen, dass kein kleiner Patient abgewiesen wird“, erklärt die Riesaer Kinderärztin.

Christina Spargen in Großenhain hat auf die Schließungen der Praxen von Ursula Lenk in Schönfeld Ende 2014 und Helga Boitz aus Nünchritz im vergangenen Juni reagiert und eine zusätzliche Sprechstunde eingerichtet. Aber: „Auf Dauer ist das wirklich kein Zustand. Die Grippewelle hat uns noch nicht einmal erreicht, und wir wissen schon jetzt manchmal nicht, wie wir es schaffen sollen“, so Christine Spargen.

Schützenhilfe vom Land ist da nicht zu erwarten. Der aktuelle Bedarfsplan der Kassenärztlichen Vereinigung vom September 2016 sieht aus Sicht der Kinderärzte alles andere als positiv aus. Danach seien die bisher erhobenen hohen Versorgungsgrade aufgrund der alten Berechnungsgrundlage nicht ganz zutreffend, erklärt KV-Sprecher Ingo Mohn. Die Bundesvorgaben stimmten nicht mit der Realität im Freistaat überein, wo Kinder auch tatsächlich vom Kinderarzt betreut würden und nicht wie in Westdeutschland häufig vom Allgemeinmediziner. Laut Plan beträgt der Versorgungsgrad im Raum Riesa-Großenhain statt der bisherigen 238 Prozent immer noch 162 Prozent. Die Region ist damit überversorgt.

*Name geändert