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Wartelisten für Todkranke

Wer in Dresden einen Hospizplatz sucht, braucht Zeit. Eine Dresdner Familie hatte diese aber nicht mehr.

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© dpa

Von Sandro Rahrisch

Ein Tumor kennt keine Gnade. Woche für Woche übernimmt er die Macht über eine andere Fähigkeit. Über Körperfunktionen, die Ines Schedwills Vater bisher kontrollieren konnte. Der Krebs stiehlt ihm die Kraft, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Dann nimmt er ihm die Luft zum Atmen. Drei Monate nachdem der Dresdner erfahren hat, dass ein inoperables Glioblastom in seinem Gehirn wächst, stirbt er im Dezember letzten Jahres im Alter von 77 Jahren.

Die Zeit bis zum Tod ist für die Familie kaum zu ertragen. Sie muss nicht nur damit klarkommen, dass sehr bald ein lieber Mensch gehen wird. Sie muss auch darum kämpfen, dass sich um diesen Menschen gekümmert wird. Doch einen Platz im Hospiz zu finden, in dem rund um die Uhr Pfleger arbeiten, wird zu einer unlösbaren Aufgabe, erzählt Tochter Ines Schedwill. „Es war alles schockierend genug, dann kam noch diese Suche dazu. Das war belastend.“

Zuerst versucht es die Familie an der Dresdner Stadtgrenze. In Radebeul befindet sich das erste Hospiz, das in Sachsen gegründet wurde. Insgesamt stehen 16 Plätze zur Verfügung. Sterbenskranke Menschen verbringen hier ihre letzten Wochen in wohnlich eingerichteten Einbettzimmern mit Bad. Weckzeiten gibt es nicht. Zu jeder Tages- und Nachtzeit dürfen Familie und Freunde vorbeikommen. Pfleger kümmern sich um die Bewohner. Außerdem schauen niedergelassene Ärzte vorbei. Genehmigt wird die vollstationäre Hospizpflege von den Krankenkassen, zunächst für 28 Tage. Der Bewohner muss nur Wahlleistungen wie Telefongebühren bezahlen.

Einen Platz bekommt Ines Schedwill für ihren Vater in Radebeul aber nicht. „Man erzählte uns, die Warteliste wäre drei A4-Seiten lang. Das war schrecklich.“ Der Leiter des Hospizes, Andreas Rost, kennt freilich das Problem. „Das ist schon eine ganze Zeit so“, sagt er. „Kurzfristige Aufnahmen sind bei uns nicht mehr möglich.“

Während die Familie weitersucht, befindet sich der betagte Dresdner auf der Palliativstation des Städtischen Klinikums in Friedrichstadt. Dort kümmern sich Ärzte um Patienten, die an einer unheilbaren Krankheit leiden und wegen Schmerzen, Atemnot oder Übelkeit im Krankenhaus behandelt werden müssen. Begleitet werden jährlich etwa 330 Menschen, vorwiegend Krebskranke sowie Patienten mit Herzschwäche oder neurologischen Erkrankungen. Nicht immer bis zu ihrem Tod. Oft gelingt es, sie so zu stabilisieren, dass sie in ein Hospiz wechseln oder ihre letzten Tage mit ambulanter Pflege daheim verbringen können. Eigentlich liegen Patienten nur etwa zwei Wochen auf einer Palliativstation. „Aber mein Vater durfte bleiben“, sagt Ines Schedwill. „Wir hatten auch keine Alternative.“

Tatsächlich gibt es in ganz Sachsen nur neun Hospize, davon zwei zwischen Dresden und Görlitz. „Das ist ein Problem“, sagt Christine Buhl vom sächsischen Landesverband für Hospizarbeit und Palliativmedizin. Im Chemnitzer Bezirk nehmen immerhin fünf Einrichtungen Menschen auf, im Raum Leipzig sind es zwei. Da sich Familien oft bei mehreren bewerben, seien die Wartelisten auch dort lang, so Buhl.

Zwar hat Dresden insgesamt vier Palliativstationen, die dem Uniklinikum, dem Friedrichstädter und dem Diakonissenkrankenhaus sowie dem St. Jospeh-Stift angegliedert sind. Sinn und Zweck könne es aber nicht sein, dass sterbenskranke Menschen, die eigentlich entlassen werden könnten, dort ihr restliches Leben verbringen, sagt Christine Buhl. „Manche Krankenhäuser behalten sie noch eine Weile. Das geht aber auch nur so lange, wie keine anderen Patienten reinkommen und ein Bett brauchen.“

Eine Alternative wären die ambulanten Hospizdienste und spezialisierten Palliativteams, die nach Hause kommen. Hier sei die Versorgung in Dresden gut. Das funktioniere aber nicht immer. Lebt der Patient zum Beispiel alleine in einer Wohnung und hat er darüber hinaus keine Angehörigen in der Nähe, sei diese Form der Betreuung nur schwer umsetzbar.

In einer Studie des sächsischen Sozialministeriums gehen Forscher davon aus, dass der Bedarf an Hospizplätzen in Dresden bis 2050 steigen wird. Ein Grund ist der wachsende Anteil alter Menschen. Deshalb ist nun das erste Dresdner Hospiz am Krankenhaus St. Joseph-Stift geplant. Es soll 2020 eröffnen. Im März hat bereits ein Hospiz in Leisnig bei Döbeln eröffnet. Angebote, über die Ines Schedwill und ihr Vater dankbar gewesen wären.