Merken

War früher wirklich alles anders?

Drei Generationen wohnen bei Wolskes in Kamenz unter einem Dach. Mutter und Tochter vergleichen ihren Alltag heute mit früher.

Teilen
Folgen
NEU!
© Kristin Richter

Von Ina Förster

Früher war alles besser. Dieses Gefühl schwingt stets mit, wenn Bürger ihren Rosengarten durch Genkartoffeln, Atomkraft oder – ganz aktuell – vielleicht sogar ein neues Asylbewerberheim bedroht wähnen. Vor 25 Jahren hatten wir 1990. Eine Zeit des Umbruchs, der Neuanfänge. Alle hatten Lust auf alles. Nur nicht auf das, was man besaß. Betriebskindergärten zum Beispiel. Oder Haushaltstage. Nun gehört all dies der Vergangenheit an. Und so mancher fragt sich: Könnte man das nicht wieder einführen? Vergleicht man einen ganz normalen Arbeitstag von heute mit einem im Jahr 1990 oder noch weiter davor, dann wird man ein bisschen in dieser Ansicht bestärkt. Aber natürlich nicht nur …

Petra Wolske bekam Anja mit 26 Jahren.
Petra Wolske bekam Anja mit 26 Jahren. © privat
Anja wurde vor zehn Monaten zum zweiten Mal Mama – mit Sonnenscheinchen Emily.
Anja wurde vor zehn Monaten zum zweiten Mal Mama – mit Sonnenscheinchen Emily. © Kristin Richter

Bei Familie Wolske in Jesau leben heute drei Generationen unter einem Dach. Tochter Anja, die vor 25 Jahren acht war, hat es sich mit ihren beiden Töchtern Laura (11) und Emily (10 Monate) in der oberen Etage schön gemacht. Unten wohnen ihre Eltern – Petra, die mit 58 Jahren noch voll berufstätig ist. Und Uwe, der mit seinen 64 gerade eben in die wohlverdiente Rente ging. Nur Andreas, der Papa der kleinen Emily und Freund von Anja, ist noch nicht eingezogen und arbeitet die Woche über sowieso auf Montage. So sieht man sich nur an den Wochenenden. Heute sitzen Mutter und Tochter mal wieder an einem Tisch und wälzen alte Fotoalben. Einige Bilder sind farbig, die meisten schwarz-weiß: Anja im Kindergarten als Rotkäppchen. Anja beim Schuleingang in „Herbert‘s Gasthof“. Anja als Zweitklässlerin mit blauem Pionierhalstuch beim Kamenzer Forstfest. „Ich weiß nicht mehr viel von der DDR, aber an den Fahnenappell früh kann ich mich noch erinnern“, lacht sie. Und natürlich ans Forstfest. „Wie aufgeregt wir vor den Umzügen immer waren. Das ist aber heute nicht viel anders bei meiner Laura“, erzählt Anja Wolske.

Gut, dass die Oma da ist

Die zweifache Mama ist gerade im Babyjahr zu Hause. Noch bis Februar. Dann sitzt sie wieder bei Kaufland hinter der Kasse. Auch oft im Schichtsystem bis 22 Uhr. Gut, dass es Oma Petra gibt, die zwar ebenfalls im Altenheim „St. Monika“ in der Pflege arbeitet und wenig Freizeit hat. Aber für ihre Enkel schon immer alles getan hat. Wie war das bei ihr, als sie mit 21 Jahren Sohn Marko bekam und fünf Jahre später Anja? „Die Kinder kamen früher eher. Obwohl Anja mir da ja in nichts nachgestanden hat“, lacht Petra Wolske. Heutzutage liegt das Durchschnittsalter der Erstgebärenden immerhin bei 31. „Aber total schwierig war es zu DDR-Zeiten nicht. Nur einen Krippenplatz zu bekommen, das war ein Glücksfall. Da musste man schon Beziehungen beim Rat der Stadt haben“, meint sie.

Doch ist das nicht heute auch manchmal noch so? Den Wunsch-Krippenplatz erhalten nicht alle. „Genau“, meint Anja. „Ich habe meinen schon beantragt, als ich hochschwanger war. Nur deshalb habe ich ihn sicher. Und weil ja schon Laura in die Kita Sonnenschein ging. Für Geschwisterkinder hält man Plätze vor“, sagt sie. Und der Staat unterstützt junge Familien heute nicht übel. Mit 184 Euro Kindergeld, dem Elterngeld und anderen kleinen Vergünstigungen ist man jedenfalls auf der sicheren Seite. Keiner fällt durchs soziale Netz. Große Sprünge machen geht während dieser Zeit freilich nicht. Aber war das jemals anders? „Wir bekamen 20 Mark zur Unterstützung. Ein halbes Jahr durfte man auch nur zu Hause bleiben“, so Petra Wolske. Dann mussten wir wieder ran. Wer sich länger ums Baby kümmern wollte und dazu verheiratet war, bekam als Frau nach einem Jahr überhaupt keine Unterstützung mehr vom Staat. Da hatte der Ehemann für alles zu sorgen. 500 Mark blieben den Wolskes damals pro Monat. „Ich habe nebenbei genäht, damit wir uns ein paar Extras leisten konnten. Da haben es die Mamas heute leichter“, meint die 58-Jährige.

Alltag weniger stressig

Zufrieden sei man trotzdem gewesen. Der typische DDR-Alltag war bei Weitem nicht so stressig wie der heutige, erscheint es Petra. Die Kinder gingen gegen 7 Uhr in den Kindergarten oder die Schule. Bis 18 Uhr hatten die Kitas im Schnitt geöffnet, der Hort ging bis 4 und bot viele tolle Unternehmungen. Zwischendurch gab es ein ordentliches, gemeinsames Mittagessen. „Heute ist das mit den Ganztagesangeboten und dem Hort ja aber so ähnlich. Auch die Schulspeisung läuft gut“, wirft Anja ein. Ihre Laura hat sowieso schon immer nachmittags gern daheim oder im Garten gespielt. So wie sie selber einst nach der Schule oft mit Freundinnen draußen unterwegs war, das würde sie der Elfjährigen heutzutage nicht unbedingt mehr zubilligen. „Die Zeiten sind unsicherer geworden“, sagt sie.

Mutter Petra überlegt: „Unsere Kinder mussten schnell selbstständig werden. Die Geschwister haben sich umeinander gekümmert. Das hat geklappt. Ich habe immer gearbeitet – erst im GHG, später in der Feinkost.“ Aber abends ist man heimgekommen und hat sich auf eine Bank vor dem Haus gesetzt und erst einmal miteinander geredet. Gibt es das heute auch noch? „Die Arbeit bringt oftmals Stress mit sich. Man schleppt ihn mit heim, hat Druck, alles richtig zu machen, damit man den Job nicht verliert“, sagt die 58-Jährige.

Als die D-Mark vor 25 Jahren kam, waren dennoch alle glücklich. „Wir sind in die Kaufhalle an der Neschwitzer und haben als Erstes Joghurt eingekauft“, lacht Petra. Joghurt! „Ich wünsche mir manchmal die Zeiten zurück, als es nur einmal im Jahr nach Apfelsinen duftete, aber jeder wusste: Jetzt ist Weihnachten!“