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War das Aus der Wehrpflicht richtig?

Vor fünf Jahren wurde die Wehrpflicht in Deutschland ausgesetzt, weil sie sicherheitspolitisch und militärisch nicht mehr zeitgemäß war. Trifft das noch zu? Das meinen Spitzenpolitiker und die Deutschen.

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© dpa

Berlin. Vor fünf Jahren, am 1. Juli 2011, wurde die Wehrpflicht in Deutschland ausgesetzt. Die damalige Begründung der Bundesregierung: Sie sei sicherheitspolitisch und militärisch nicht mehr zeitgemäß. Die Zeiten haben sich aber geändert. Die russische Annexion der Krim und der Vormarsch der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) haben die Sicherheitslage in Europa deutlich verändert. War die Aussetzung der Wehrpflicht trotzdem richtig? Nachgefragt bei ...

URSULA VON DER LEYEN, Bundesverteidigungsministerin:

„Die damalige Entscheidung war gut und wichtig. Jährlich eine sehr große Zahl junger Männer auszubilden, die nur kommen, weil sie müssen, entspricht nicht mehr den Anforderungen an die Bundeswehr. Eine moderne Armee braucht qualifizierte Männer und Frauen, die sich freiwillig und hochmotiviert den immer komplexeren Aufgaben stellen. Beispiel Cyber, Beispiel enge weltweite Zusammenarbeit mit vielen Nationalitäten. Das trägt auch zur Modernisierung des Apparates bei. Im Wettbewerb um die besten Köpfe muss die Bundeswehr auf dem freien Markt als attraktiver Arbeitgeber überzeugen. Mit unserer Agenda Attraktivität sind wir bereits auf einem guten Weg. Das zeigt die große Zahl der Bewerbungen.“

HANS-PETER BARTELS, Wehrbeauftragter des Bundestags:

„Die Hälfte eines Wehrpflichtigen-Jahrgangs als angeblich „untauglich“ ausmustern, von der anderen Hälfte nur noch einen Bruchteil einberufen, Grundwehrdienstdauer: 6 Monate - das alles ging gar nicht mehr! Insofern beendete die Aussetzung der Wehrpflicht einen unhaltbar gewordenen Zustand. Der aber wäre vermeidbar gewesen. Die Alternative hieß freiwilliger Wehrdienst. Also: weiterhin erfassen und mustern, aber nur Freiwillige - nach Eignung und Bedarf - tatsächlich einziehen. Bekanntlich kam es anders. Doch ohne Konzept einer neuen Nachwuchsgewinnung. Die Devise lautete ja weiter: Personalabbau. Mit den Folgen kämpft die Bundeswehr jetzt. Sie ist zu klein geworden. Und selbst ein minimaler Aufwuchs fällt heute extrem schwer.“

ANDRÉ WÜSTNER, Vorsitzender des Bundeswehrverbandes:

„Die Aussetzung der Wehrpflicht erfolgte vollkommen unüberlegt und war insbesondere mit Blick auf die gesellschaftliche Dimension in puncto Dienst für die Gemeinschaft ein enormer Fehler. Die Wehrpflicht und insbesondere auch die sozialen Ersatzdienste hatten eine große integrative Wirkung, die wir in unserer zunehmend individualisierten Gesellschaft mit ihren getrennten Lebenswelten dringend brauchen und heute vielfach schmerzlich vermissen. Und nebenbei: Der damalige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg hatte seinerzeit die Behauptung aufgestellt, dass die Bundeswehr mit der Aussetzung der Wehrpflicht effektiver und kostengünstiger würde - und heute weiß jeder, was wir schon damals sagten: das Gegenteil ist der Fall.“

ANTON HOFREITER, Vorsitzender der Grünen-Bundestagsfraktion:

„Die Aussetzung der Wehrpflicht war längst überfällig. Sie war ein schwerer Eingriff in das Leben junger Menschen, der sicherheitspolitisch längst nicht mehr zu rechtfertigen war. Denn inzwischen steht nicht mehr die territoriale Landesverteidigung im Vordergrund, sondern die Teilnahme an UN-mandatierten multilateralen Einsätzen im Aufgabenbereich der Bundeswehr. Das ist auch heute so. Deshalb bleibt die Aussetzung der Wehrpflicht richtig. Und es ist eine Rückkehr in falsches veraltetes Denken, eine deutliche Aufstockung des Verteidigungsetats zu fordern, wie das die Union tut. Damit schraubt sie mit an einer gefährlichen Spirale der Aufrüstung, die nur Instabilität und Unsicherheit zur Folge haben kann.“

DIE DEUTSCHEN, Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov

Angesichts wachsender Bedrohungen ist jeder dritte Deutsche für die Wiedereinführung der Wehrpflicht. Laut YouGov sprachen sich 36 Prozent für einen solchen Schritt aus. 49 Prozent waren dagegen, 15 Prozent machten keine Angaben. Im Westen sind die Befürworter mit 37 Prozent etwas zahlreicher als im Osten (32 Prozent). Weiteres Ergebnis der Umfrage: Je älter die Befragten und je geringer ihr Bildungsstand, desto größer sind die Sympathien für den Pflichtdienst. An der Umfrage nahmen zwischen dem 24. und 27. Juni 2054 Personen teil. (dpa/szo)