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Wann erreicht uns der Babyboom?

Deutschlandweit steigen die Geburtenzahlen. Im Landkreis Görlitz sieht das anders aus.

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© Rafael Sampedro

Von Patrick Richter

Ruhig ist es auf der Entbindungsstation des Klinikum Oberlausitzer Bergland in Zittau. So ruhig, als wäre niemand da. Deutschland feiert zur Zeit einen Babyboom, mehr als 700 000 Geburten gab es im vergangenen Jahr im gesamten Land. Von einer Trendwende wird gesprochen. In Zittau merkt man davon allerdings nicht viel. Die Stille trügt jedoch: Auf der Zittauer Geburtsstation gibt es immer zu tun. Nicht mehr, als in den letzten Jahren, aber auch nicht weniger.

Im Augenblick befinden sich ebenfalls Neugeborene auf der Station. Eine von ihnen ist die kleine Zoe. Stolz zeigt ihre Mutter, Frau Bagdinska aus Görlitz den Nachwuchs. Es ist bereits ihre dritte Tochter, erzählt die 24-Jährige. „Mir geht es sehr gut. Es ist jedes Mal etwas besonderes, bei jedem meiner Kinder etwas neues“, erklär sie. Auch in ihrem Umfeld haben viele Paare schon Kinder bekommen. Möglicherweise gibt es auch in dieser Region einen Aufschwung, was die Geburtenzahlen betrifft.

Doch die Zahlen sprechen eine andere Sprache: Nach dem Jahr 1990 gab es einen deutlichen Schnitt bei den Geburtenzahlen im Landkreis Görlitz. Von knapp unter 4000 sank die Zahl schon im Folgejahr auf 2403. Seit Beginn der Jahrtausendwende kamen im gesamten Landkreis nun jährlich rund 2000 Kinder zur Welt. Halb so viel, wie vor 25 Jahren.

224 Kinder erblickten dieses Jahr im Zittauer Klinikum das Licht der Welt. Das liegt ebenfalls im selben Bereich, in denen sich die Geburtenzahlen der letzten Jahre hier bewegt haben. „Es sind mal einige Geburten mehr, oder einige weniger, aber im Grunde ist die Anzahl eigentlich seit zehn Jahren ungefähr gleichgeblieben“, so Dr. Miroslav Landfeld vom Zittauer Klinikum. Landfeld ist hier erster Oberarzt der Frauenklinik und arbeitet seit zwölf Jahren in diesem Krankenhaus. Er hat keine besondere Entwicklung in den letzten Jahren beobachten können. Auch in Ebersbach-Neugersdorf, dem zweiten Standort des Klinikum Oberlausitzer Bergland lässt sich die Konstanz der Geburtenzahlen feststellen. 298 Geburten gab es hier bislang in diesem Jahr. Elf mehr, als im selben Zeitraum des Vorjahres. Ähnlich sieht es in den nördlicheren Kliniken im Landkreis aus: Im Klinikum Görlitz kamen gab es mit bislang 517 Kindern weniger Geburten, als im Vorjahr, jedoch mehr als vor zwei Jahren. Die Geburtenzahlen im Krankenhaus Weißwasser sind seit Jahren bei durchschnittlich 350 im Jahr.

Beim Kinderkriegen herrscht also Konstanz im gesamten Landkreis. Allerdings nicht beim Alter der werdenden Mütter, wie man in Zittau weiß: „Die Frauen entscheiden sich heutzutage im Schnitt erst viel später, Mutter zu werden, als noch vor 25 Jahren“, so Oberarzt Landfeld. Das weiß auch Katrin Jung. Seit 33 Jahren arbeitet die Zittauerin als Hebamme. Durch ihre Berufserfahrung kennt sie die Veränderungen: „Heute studieren viele und wollen dann noch die Welt sehen, bevor sie an Kinder denken. Die Familienplanung beginnt dann oft erst mit 30 Jahren, oder später.“ Es ist Katrin Jung anzumerken, dass sie gern wieder mehr Mütter begrüßen würde. Sie liebt ihre Arbeit, das Betreuen von werdenden Eltern. „Es ist schon ein Abenteuer, eine Familie zu gründen. Die meisten wollen vorher schon ihr Leben durchplanen, aber das geht nicht immer“, so Frau Jung. Mit wachsenden Geburtszahlen in der Region rechnet auch sie nicht. Der aktuelle Babyboom fände eher in den Großstädten statt, ist sie überzeugt.

Für die dreifache Mutter Frau Baginska, mit ihrer Tochter Zoe, war die Entscheidung, Kinder zu bekommen, nicht schwer. „Ich bin selbst mit zwei Geschwistern groß geworden, also war für mich immer klar, dass ich unbedingt Kinder haben möchte“, erzählt die 24-Jährige. Dass sie in gesicherten beruflichen Verhältnissen lebt, habe es ihr ermöglicht, bereits mit achtzehn Jahren ihr erstes Kind zu bekommen. Die Sorgen vieler anderer junger Menschen kann sie verstehen. Zwei Jahre musste sie bei ihren Kindern auf einen Kita-Platz warten. „Ohne die Hilfe von Oma und Tante, hätten wir ein Problem gehabt“, erinnert sie sich. Einen langen Mutterschaftsurlaub gönnt sie sich auch nicht: „Man muss ja heutzutage immer Geld verdienen“, meint sie.

Gut geeignet für werdende Eltern ist die Region dennoch. Laut Landfeld vom Klinikum Zittau ist die Betreuung, besser als an großen Städtischen Krankenhäusern. „Die Mitarbeiter auf der Station haben einfach mehr Zeit, jeden individuell zu betreuen. Das geht an großen Kliniken mit 2000 Geburten im Jahr natürlich nicht“, so der Oberarzt der Frauenklinik. Manchmal, erzählt er, kämen auch Leute aus dem Westen wieder hierher zurück, um die Kinder hier zu entbinden und zumindest die erste Zeit wieder in der Gegend zu verbringen.

Bei einer Sache sind sich die Kliniken im Landkreis auf jeden Fall einig: Auch in Zukunft sollten die Geburtenzahlen gleichbleiben. In einer Region, die von Wegzügen gebeutelt ist, seien konstante Zahlen durchaus als Erfolg zu sehen.