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Wagenknecht wettert gegen alle

Auf dem Heinrichsplatz verurteilt die Spitzenfrau der Linken soziale Kälte und die Außenpolitik der Regierung. Störfeuer bleiben nur fast aus.

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© Claudia Hübschmann

Von Marcus Herrmann

Meißen. Wenn Polizisten rastlos über den Heinrichsplatz laufen, Personenschützer mit Knöpfen in den Ohren die Lage prüfen und ein Trabbi mit AfD-Banner an der Seitentür aufreizend langsam über das Kopfsteinpflaster gesteuert wird, muss sich jemand besonders angesagt haben – wohl eher vom linken als vom rechten Rand.

So ist es am Dienstagabend auch. Um 18.10 Uhr rollt der Audi mit der Spitzenkandidatin der Bundeslinken, Sahra Wagenknecht, an Bord die Elbstraße Richtung Heinrichsplatz entlang. Die zehn Minuten Verspätung nehmen ihr die etwa 150 Leute, die sie vor einer Bühne sitzend oder stehend erwarten, nicht übel. Auf der Autobahn war viel Verkehr, heißt es später zur Begründung. Die Sicherheitsvorkehrungen sind nicht noch einmal verschärft worden, sagt ein Meißner Polizist kurz vor Wagenknechts Rede. Auch nicht, obwohl wenige Tage zuvor Unbekannte die Bundestagsabgeordnete Katja Kipping und den Dresdner Stadtrat André Schollbach (beide Die Linke) während einer Bürgersprechstunde in einem Dresdner Einkaufscenter bepöbelt und eine Delle in das Fahrzeug der Politiker getreten hatten.

Die Frau des Abends, schwarze Pumps, weinroter Zweiteiler, funkelnd Ohrringe, ist der Einladung des Meißner Orts- und Kreisverbandes der Linken in die Domstadt gefolgt. Bevor sie sich am Mittwochabend im ARD- Polit-Talk „Maischberger“ zur Bundespolitik äußern wird, bleibt Zeit für einen Auftritt in der Domstadt. Den Rahmen bietet das Familienfest der Meißner Linken und die Vorstellung des Direktkandidaten für den Wahlkreis Meißen, Tilo Hellmann. Der redet kurz vor Wagenknecht, spricht sich für fairere Löhne, Frieden und Weltoffenheit aus. Mehr Aufmerksamkeit bekommt freilich die 47-jährige Bundespolitikerin. Mit leicht heiserer Stimme rechnet sie einmal mehr mit den anderen Parteien ab. Ob CDU, SPD, Grüne, AfD oder FDP – alle bekommen ihr Fett weg. „Wer will, dass es mit Lügen, sozialer Kälte, Lobbyismus und korrupten Politikern weitergeht, der muss nicht die Linkspartei wählen. Wer aber möchte, dass sich endlich etwas ändert, der kann nur das tun“, spricht Wagenknecht zu den Meißnern. Besonders für ihre deutliche Forderungen in Richtung Kanzlerin, deutsche Bundeswehrsoldaten sofort aus Auslandseinsätzen abzuziehen und für gerechtere Löhne zu sorgen, bekommt Wagenknecht Applaus.

Dass sie kaum etwas Substanzielles zu dem sagt, was sie und ihre Partei in Richtung Bundestagswahl wollen, nehmen ihr die vorwiegend grau- und weißhaarigen Zuhörer auf dem Heinrichsplatz nicht übel. Überhaupt scheint Wagenknecht im Osten der Republik beliebt zu sein: Laut einer aktuellen Wahlumfrage der Super-Illu, welchem Politiker Wähler in Ostdeutschland am meisten vertrauen, hatten viele Teilnehmer ihren Namen genannt. Wagenknecht landete hinter Kanzlerin Merkel und Bundespräsident Steinmeier sogar auf Platz drei.

Innerhalb der eigenen Partei gibt es aber auch Kritiker. Das zeigte sich auch bei der Meißner Veranstaltung, als Mitglieder der Linksjugend vom Kreisverband Meißen Flugblätter mit der Aufschrift „Nicht unsere Spitzenkandidatin“ unter den Zuhörern verteilten. Darin prangerten sie Wagenknechts Haltung an, Asylrecht als unteilbares Menschenrecht, unabhängig von Herkunft und Straffälligkeit, zu verstehen.

Die Rednerin wird es nicht mitbekommen haben. Nach einer halben Stunde tritt sie von der Bühne. Das Programm einer Politikerin im Wahlkampf ist eben straff: Im voll besetzten Zentralgasthof liest sie wenig später aus ihrem Buch „Reichtum ohne Gier“. Thema hier: Neue Eigentumsformen und die vergessenen Ideale der Aufklärung. Christina Wolf, Chefin des Zentralgasthofes, hatte im Vorfeld von einer riesen Nachfrage nach den Karten gesprochen. All die Zuhörer wollten wissen, wie die Linken-Politikerin ihre Forderung erklärt, es sei Zeit, sich vom Kapitalismus abzuwenden, und welche Alternativen sie aufzeigt.