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Waffen für alle

Tschechien steht eine Debatte über das Waffenrecht für die Bürger bevor. Es soll in der Verfassung verankert werden.

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© CTK/Libor Zavoral

Von Hans-Jörg Schmidt, SZ-Korrespondent in Prag

Mitte 2015, als sich Massen von Migranten auf den Weg nach Mitteleuropa machten, brach in Tschechien Panik los. Da alarmierte etwa eine Studentin in Domazlice (Taus) die Polizei, weil „ein schwarz gekleideter Flüchtling mit einem Maschinengewehr über der Schulter“ einfach so durch die Straßen spaziere. Der gefährliche Flüchtling stellte sich als Schornsteinfeger heraus, der sein Handwerkszeug zum Putzen der Schlote geschultert hatte.

In Mlada Boleslav (Jungbunzlau) nahm die Polizei drei Dunkelhäutige fest, die „aufmerksame Bürger“ für ausgebrochene Flüchtlinge aus einem nahen Abschiebelager hielten. Es handelte sich um Neuzugänge des ortsansässigen Erstliga-Fußball-Vereins. Im Mähren sperrten Beamte ebenfalls mehrere Schwarze ein, die sich später als Mitglieder eines afrikanischen Chors entpuppten, der sich auf einer Konzerttournee befand. Wieder anderenorts wurde die Polizei auf eine Gruppe von Menschen aufmerksam gemacht, die sich in einem Wald „verdächtig verhielten“. Es waren Waldarbeiter aus der Slowakei.

An solche Fälle erinnerte am Dienstag eine Prager Zeitung und schrieb: „Die Vorstellung bewaffneter Heimwehren ist grauenvoll. Leuten, die erst handeln und danach zu denken beginnen, drückt man keine Waffe in die Hand.“ Im Internet schrieb ein gewisser Stanislav Konecny: „Das ist Ausdruck von totalem Populismus. In unserem Land fahren die Leute auch mit einem Führerschein wie die Säue. Prima wilder Westen, der da auf uns zukommt.“

Tschechiens sozialdemokratischer Innenminister Milan Chovanec sieht das anders. Als Reaktion auf die Terrorangriffe von Nizza und Berlin will er das Recht auf Schusswaffenbesitz in der Verfassung verankern. In seiner Vorlage heißt es, „aktive und rasche Verteidigung“ könne die Chancen von Angreifern verringern. Den Bürgern solle das Recht zugestanden werden, mit Schusswaffen „Leben, Gesundheit und Eigentum“ zu verteidigen. Auf diese Weise könnten sie zur „Sicherstellung der inneren Ordnung, Sicherheit und territorialen Integrität“ des Landes beitragen.

Die Idee von Chovanec dürfte die Anhänger von Präsident Milos Zeman erfreuen. Der sieht durch die Migranten – obgleich die um sein Land einen großen Bogen machen – die Sicherheit Tschechiens bedroht und hat angekündigt, sich den „illegalen Fremden“ notfalls selbst an der Grenze mit der Waffe entgegenzustellen.

Ob es dem Innenminister tatsächlich darum geht, präventiv etwas gegen die Terrorgefahr in Tschechien zu tun, die selbst nach Angaben seines eigenen Hauses vergleichsweise gering ist, darf bezweifelt werden. Tschechien gehört vielmehr zu den Ländern in der EU, die von Beginn an gegen jegliche Verschärfung des Waffenrechts auftraten. Querschüsse kommen derzeit auch aus Frankreich, Italien und anderen mittelosteuropäischen Ländern, namentlich der Slowakei. Sie alle versuchen, ein härteres Waffengesetz zu verwässern.

Landesweit 300 000 Waffenscheine

Zudem könnte sich das Recht auf Waffenbesitz zu einer Art Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für die ohnehin florierende tschechische Waffenindustrie entwickeln. Pistolen aus Tschechien sind beliebt. Auch bei ausländischen Terroristen. Und die Tschechen schwören bei jedem Einkauf auf heimische Produkte. Weshalb also nicht auch bei Waffen, fragen Kritiker. Das könnte übrigens auch Teile der Prager Opposition überzeugen, die Chovanec für sein verfassungsänderndes Gesetz bräuchte. Schon jetzt gibt es im Zehn-Millionen-Volk der Tschechen 300 000 Besitzer eines Waffenscheins und knapp 800 000 Waffen. Tendenz steigend.

Von einem zweiten Amerika will das Prager Innenministerium nichts wissen. Anders als dort soll der Besitz und der Gebrauch von Waffen nicht als „Grundrecht“ in der Verfassung verankert werden, heißt es. Man werde im Gegenteil im Zuge des Gesetzes die Bedingungen für den Waffenbesitz verschärfen. Auf welche Weise, ließ der Innenminister offen.

Bei einem Terrorangriff auf „weiche Ziele“ seien jedoch die schnellen Eingreifmöglichkeiten staatlicher Organe begrenzt, so der Minister. In einem solchen Fall sollen die künftigen Waffenbesitzer helfend eingreifen können. Wie dies funktioniere, zeige das Beispiel Israels, sagte Chovanec, wenngleich er einräumte, dass dieses Land „in einer völlig anderen Situation“ als Tschechien sei.

Die Hysterie in Tschechien hat nach dem Anschlag von Berlin noch einmal zugenommen. So verbot der Bürgermeister der 16 000-Einwohner-Städtchens Uhersky Brod (Ungarisch Brod) auf Empfehlung der Polizei kurz vor dem Fest, die Handvoll Buden des Weihnachtsmarkts zu öffnen. Die Reaktionen im Internet gipfelten in der sarkastischen Bemerkung eines gewissen Jakub: „Wäre ich Terrorist, dann fiele mir als nächstes Ziel in Europa nach Paris, London und Berlin auch sofort Uhersky Brod ein.“