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Wacker sucht Anschluss

Der Chemie-Riese hält sein Nünchritzer Werk für unverzichtbar. Was fehlt, ist eine vernünftige Straßenanbindung.

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© Wacker Chemie AG

Von Christoph Scharf

Nünchritz. Zwei gute Gründe gab es, vor mehr als 100 Jahren ein Chemiewerk in Nünchritz zu errichten: auf der einen Seite die Elbe, an der das Areal direkt angrenzt, auf der anderen Seite die Bahnstrecke Leipzig-Riesa-Dresden. Beides die wichtigsten Verkehrsträger in einer Zeit, in der vorbeifahrende Lastwagen noch als Sensation von Passanten bestaunt wurden.

Das hat sich heute geändert. Einen eigenen Gleisanschluss nutzt die Wacker AG zwar noch immer gern. Gleichfalls gilt das Unternehmen als der wichtigste Kunde des Hafens Riesa – laut Wacker stammen 40 Prozent des Umsatzes aus Nünchritz. Wie überall in der Industrie macht heute aber der Transport per Lkw einen großen Anteil aus. „Pro Tag sind 275 Lkws mit unseren Produkten unterwegs“, sagt Werkleiter Gerd Kunkel.

Dazu komme noch der Verkehr der Dienstleister von Wacker. Und bei diesem Thema hat sich der einstige Standortvorteil an der Elbe längst in einen Nachteil verwandelt. Denn bis zur nächsten Autobahn in Thiendorf sind es 30 Kilometer über die B 98. In die andere Richtung – zur A 14 bei Döbeln – sind es sogar noch etwas mehr. Und bis dahin rollen die Lastzüge nicht nur durch Riesa und Seerhausen, sondern durch etliche Dörfer zwischen Stauchitz und Gadewitz, durch die sich der Autobahnzubringer quält. „60 Prozent der Produkte verlassen über die B 169 unsere Region – deren Ausbau ist deshalb enorm wichtig für uns“, sagt Gerd Kunkel.

Der Werkleiter setzt sich mit dem Wirtschaftsforum Riesa für das Thema ein, seit er in Nünchritz tätig ist. Auch auf dem Weg zur A 13 sieht er Verbesserungsbedarf. „In die andere Richtung brauchen wir den Bau der Ortsumfahrungen auf der B 98.“ Auch dort könnten der Verkehr und die Anwohner profitieren, wenn die geplanten Projekte endlich gebaut würden.

Trotz der Schwierigkeiten bei der Anbindung setzt man bei der Wacker AG aber auf Nünchritz. „Nünchritz ist ein zentraler Standort in unserem Unternehmensverbund“, sagt Vorstandsvorsitzender Rudolf Staudigl. So biete das von Bahnstrecke und Elbe eingefasste Areal zumindest für das nächste Jahrzehnt genug Platz für mögliche Erweiterungen. „Wir haben auch nicht das Ziel, mehr Fläche in Anspruch zu nehmen, sondern wollen mit effektiveren Prozessen wachsen“, sagt Staudigl.

Mit dem Weg, aus bestehenden Anlagen mehr rauszuholen, sei man in Nünchritz sehr erfolgreich. „Durch Investitionen und kostengünstige Erweiterungen ist die Kapazität der Anlagen dort auf mehr als das Vierfache gewachsen.“ Auch beim allgegenwärtigen Thema Nachwuchsmangel sieht man sich bei Wacker gerüstet: Zwar sei es schwieriger geworden, qualifizierte Kräfte zu finden. Es gelinge aber in Nünchritz nach wie vor, sagt Gerd Kunkel.

„Für die 20 Ausbildungsplätze in diesem Jahr hatten wir 170 Bewerber.“ Wesentlich mehr seien es früher auch nicht gewesen. Schließlich punkte Wacker beim Nachwuchs nicht nur mit seinem Ruf als Arbeitgeber, sondern zahle tarifgerecht plus variable Zulagen und biete eine Altersversorgung durch die Wacker-Pensionskasse. Allerdings gebe es bei einigen Berufsbildern Defizite: etwa bei Elektronikern, dieses Jahr erstmals auch bei den Chemikanten. Weil nicht genug Bewerber durch den Auswahlprozess gekommen sind, habe man nicht alle Ausbildungsplätze besetzen können – obwohl heute auch Bewerber mit schlechteren Schulnoten zum Eignungstest eingeladen werden.

An der Zahl von rund 1 500 Mitarbeiterin in Nünchritz werde sich voraussichtlich wenig ändern. Auch wenn die Produktivität steige, habe man nicht das Ziel, Arbeitsplätze abzubauen, sagt Vorstandschef Staudigl. Großinvestitionen von mehreren Hundert Millionen Euro wie in der Vergangenheit seien derzeit für Nünchritz nicht geplant. „Aber wir investieren trotzdem 20 bis 25 Millionen Euro pro Jahr in Nünchritz“, sagt Rudolf Staudigl. Dazu komme zudem ein Instandhaltungsvolumen von 65 Millionen Euro pro Jahr.

Eine Investition wünscht man sich auch nebenan in Riesa: für das vom Unternehmen SBO geplante neue Containerterminal am Hafen. Das spiele für Wacker nicht nur beim Schiffstransport eine zentrale Rolle, sondern auch für den Bahntransport. „Die geplante Erweiterung des Hafens ist deshalb sehr wichtig für uns, aber das Genehmigungsverfahren verläuft sehr zäh“, sagt Werkleiter Kunkel. Ohnehin werde in Deutschland sehr wenig getan, um die Infrastruktur auf einen modernen Stand zu bringen, ergänzt Vorstandsvorsitzender Staudigl. „Dabei heißt es: ‚Wer Infrastruktur sät, wird Wachstum und Arbeitsplätze ernten.‘ Das gilt auch für Nünchritz.“