Merken

Vorsicht, Stahlkoloss!

Am Wiener Platz lässt die Stadt riesige Spundwände aus der Erde ziehen. Das Ende einer langen Baugeschichte.

Teilen
Folgen
© René Meinig

Von Nora Domschke

Unter ohrenbetäubendem Lärm rutscht der Stahlträger Stück für Stück aus der Erde. Der Vier-Tonnen-Koloss ist an einer großen Greifzange befestigt, die wiederum an einem langen Kranarm hängt. Auf dieser Baustelle direkt vor dem Hauptbahnhof gibt es nur Geräte in XXL-Format. Hier werden derzeit die alten Spundwände gezogen, die seit Mitte der 1990er-Jahre das Grundwasser vom Wiener Platz ferngehalten haben. Nun verschwinden die schweren Bauteile aus dem Erdreich.

So sah die Großbaustelle des Tunnels am Wiener Platz im November 2000 aus. Links sind die Spundwände zu sehen. In diesem Jahr wurden die beiden Röhren für den Verkehr freigegeben.
So sah die Großbaustelle des Tunnels am Wiener Platz im November 2000 aus. Links sind die Spundwände zu sehen. In diesem Jahr wurden die beiden Röhren für den Verkehr freigegeben. © Peter Altmann

Bis in eine Höhe von rund 20 Metern zieht der Kran den Stahlträger. Dann endlich hängt er frei in der Luft und kann neben der Baugrube abgelegt werden. Viele Schaulustige verfolgen die Aktion am Freitagmorgen. Und halten die Luft an, als die Greifzange ihren Griff lockert und der Koloss plötzlich nur noch an einer Metallkette baumelt. Die ist eigentlich für sechs Tonnen ausgelegt, sagt einer der Bauarbeiter. Da kann gar nichts passieren. Er und seine Kollegen müssen viel Vertrauen zur Technik haben – schließlich hantieren sie völlig schutzlos unter dem Stahlträger. Die Männer nehmen es gelassen, denn es ist bereits Wandstück Nummer 52. Schon seit Ende Oktober sind sie am Wiener Platz im Einsatz. Zunächst wurden die Spundbohlen im Bereich der Reitbahnstraße gezogen. Nun ist der komplette Bereich vor dem Hauptbahnhof dran. Anschließend geht es an der St. Petersburger Straße bis zur Prager Spitze weiter. Im Februar ist Dresdens berühmteste Spundwand Geschichte.

Wenn alles fertig ist, lässt das Straßen- und Tiefbauamt die entsprechenden Straßen, Gehwege sowie die öffentliche Beleuchtung erneuern. Das Bauvorhaben kostet insgesamt 570 000 Euro. Doch warum müssen die Bauteile eigentlich aus dem Boden? Das fordert die wasserrechtliche Genehmigung. Vor 20 Jahren durfte die Stadt das Areal am Wiener Platz für die geplanten Bauvorhaben trockenlegen. Die Spundwände und Pumpen hielten das Grundwasser zurück. Ende der 1990er-Jahre entstand der Tunnel unter dem Wiener Platz, nach und nach wurden die Brachen bebaut. Zuletzt konnte auch ein Investor für die riesige Baugrube gefunden werden, die als Wiener Loch wohl in die Stadtgeschichte eingehen wird. Über 17 Jahre klaffte es direkt am Hauptbahnhof und somit am Eingang zu Dresdens Innenstadt.

Nun ist das gesamte Areal bebaut, und das Grundwasser soll wieder ungehemmt von den Coschützer Hängen in die Elbe fließen. Ende 2015 wurden zunächst die Pumpen abgestellt, die blauen Hochleitungen, die jahrelang das Bild des Wiener Platzes prägten, verschwanden. Seitdem hatten Hauseigentümer rund um den Wiener Platz die Möglichkeit, auftretende Nässe in den Gebäuden zu melden. Getan habe das niemand, hatte Straßenbauamtschef Reinhard Koettnitz erklärt.

Ganz ohne Folgen scheint der angestiegene Grundwasserpegel dennoch nicht zu sein. Nach SZ-Informationen gibt es sowohl in der Diskothek Musikpark neben dem Kugelhaus als auch in den Untergeschossen der Prager Spitze Probleme mit nassen Wänden. Diese Schäden können nur vom Gebäudeinneren beseitigt werden. Es sei nicht mehr möglich, das Grundwasser wieder abzusenken, hatte Koettnitz erläutert.

Die Bewohner, Händler und Besucher werden am Wiener Platz wohl noch einige Wochen mit dem Baulärm leben müssen. Etwa eine Stunde dauert es, eine Stahlbohle der Spundwand komplett aus der Erde zu holen. Zuerst wird nur ein Stück herausgezogen, um die Löcher für die Kette in den Stahl zu machen. Dann heißt es Geduld haben: Zentimeter für Zentimeter arbeitet sich das Metall durch den Boden. Bis Bauarbeiter und Schaulustige endlich wieder aufatmen können.