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Von wegen in Sicherheit

Offenbar wurden Flüchtlinge in mehreren Unterkünften misshandelt. Der private Heimbetreiber ist auch in Sachsen aktiv.

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© dpa

Von Florentine Dame, Jörg Taron und Ulrich Wolf

Dendawi Reda nimmt kein Blatt vor den Mund. „Sie behandeln uns wie Tiere“, sagt er. Zusammen mit rund 500 weiteren Flüchtlingen lebt der Algerier seit einiger Zeit in einer Notunterkunft in Essen, die das Land Nordrhein-Westfalen vor acht Wochen in einem ehemaligen Krankenhaus eingerichtet hat. Am Tag nach dem Bekanntwerden der Gewaltvorwürfe gegen das Wachpersonal dort und im siegerländischen Burbach machen die Bewohner ihrer Unzufriedenheit Luft. Es sei dreckig, das Essen mies. Sie berichten von Übergriffen der privaten Sicherheitskräfte.

Die Version des Heimbetreibers European Homecare wirft ein anderes Licht auf Täter und Opfer: Ein Wachmann habe einen Bewohner beim Kiffen erwischt. Es kam zum Eklat, der Mann vom Sicherheitsdienst habe sich gegen einen Angriff verteidigt. In der Folge sei eine ganze Gruppe Bewohner aufgetaucht und habe dem Wachmann gedroht. Die Ermittlungen der Polizei dauern an.

Schlimmer noch als in Essen wiegen die Misshandlungsvorwürfe aus dem Heim im siegerländischen Burbach. Dort stieg die Zahl der beschuldigten Wachmänner von vier auf sechs. Der zuständige Oberstaatsanwalt sagte, man habe die zwei Wachleute ermitteln können, die einen Flüchtling gezwungen haben sollen, sich auf eine mit Erbrochenem verschmutzte Matratze zu legen. Ein Handy-Video von dem Vorfall hatte die Ermittlungen ins Rollen gebracht. Außerdem fand die Polizei ein Handy-Foto, auf dem zu sehen ist, wie ein Sicherheitsmann einem gefesselt am Boden liegenden Flüchtling den Stiefel in den Nacken setzt; sein Kollege schaut grinsend dabei zu.

Was ist los in den Flüchtlingsheimen?

Was einen Asylbewerber nach seiner Ankunft in Deutschland erwartet, hängt stark davon ab, in welches Bundesland ihn das Bundesamt für Migration schickt. In einigen Regionen betreiben vor allem private Firmen die Flüchtlingsunterkünfte. Andernorts betreuen städtische Bedienstete oder gemeinnützige Organisationen die Menschen, die zum Teil durch Kriegs- und Fluchterlebnisse traumatisiert sind. Die wichtigsten Fragen und Antworten:

Wie viele Menschen sind in den Asylbewerberheimen untergebracht, und weshalb müssen diese Unterkünfte bewacht werden?

Seit Jahresbeginn haben mehr als 115.000 Menschen in Deutschland einen Asylantrag gestellt. Das Bundesamt für Migration verteilt die Asylbewerber auf die verschiedenen Bundesländer. Einige Erstaufnahme-Einrichtungen sind sehr überfüllt. Das führt zu Konflikten zwischen den Bewohnern, die zum Teil aus sehr unterschiedlichen Kulturkreisen stammen. Deshalb greifen die Betreiber auf die Dienste privater Sicherheitsfirmen zurück. Wenn es allerdings um Straftaten geht oder darum, die Bewohner vor Gewalt von außen - etwa durch Neonazis - zu schützen, muss die Polizei anrücken.

Wer betreibt die meisten Heime?

Für die langfristige Unterbringung nach der Erstaufnahme sind die Kommunen in Abstimmung mit der Landesregierung zuständig. Einige Bezirksregierungen - zum Beispiel in Bayern - heuern zwar private Sicherheitsfirmen an, die Unterkünfte betreiben sie aber selbst. In Hamburg kümmert sich die städtische Gesellschaft „fördern und wohnen“ um die Betreuung der Flüchtlinge. „Der Einsatz von Privaten kommt für uns nicht infrage“, sagt ein Sprecher der Sozialbehörde. In Nordrhein-Westfalen und Mecklenburg-Vorpommern werden einige Flüchtlingsheime von Hilfsorganisationen wie dem Deutschen Roten Kreuz oder den Maltesern betrieben, andere von privaten Unternehmen.

Wie viele Unterkünfte betreibt die Firma European Homecare, in deren Einrichtungen jetzt wegen des Verdachts der Misshandlung von Flüchtlingen durch Wachleute ermittelt wird?

Diese Firma organisiert nach eigenen Angaben bundesweit die Unterbringung, Verpflegung und Betreuung von Asylbewerbern und Flüchtlingen in 40 Einrichtungen. Für die Bewachung der Gebäude holt sie externe Sicherheitsfirmen ins Haus.

Wer kontrolliert eigentlich diese Sicherheitsfirmen?

Die Kontrollen sind an einigen Standorten lückenhaft, meist wird jedoch zumindest ein polizeiliches Führungszeugnis verlangt. Die zwei Sicherheitsfirmen Siba und Kötter, die in Rheinland-Pfalz zwei Erstaufnahmeeinrichtungen bewachen, verlangten bei der Einstellung neuer Mitarbeiter „kultursensibles Verhalten“, sagt die Sprecherin des Integrationsministeriums in Mainz, Astrid Eriksson. Problematisch wird es nach Einschätzung von Experten, wenn die Sicherheitsaufgaben von einem Subunternehmer zum nächsten weitergereicht werden. Am Ende dieser Kette steht oft eine unterbezahlte Hilfskraft ohne jede Ausbildung. Der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Oliver Malchow, weist in diesem Zusammenhang darauf hin, „dass man dem Mitarbeiter einer Sicherheitsfirma, der das Hausrecht durchsetzen soll, auch ein Stück Macht überträgt“. (dpa)

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European Homecare betreibt unterdessen Schadensbegrenzung. Sprecherin Renate Walkenhorst sagte: „Was jetzt passiert ist, ist eine Katastrophe.“ Dass es sich um mehr als Einzelfälle handeln könnte, weist sie von sich. „Anscheinend hat sich da eine Gruppe von Wachkräften irgendwie verselbstständigt.“

Den Sicherheitsdienst in Burbach und Essen hatte European Homecare dem Nürnberger Unternehmen SKI übertragen. Das wiederum engagierte zumindest in Burbach einen weiteren Subunternehmer. Die Sicherheitsfirma hat alle betroffenen Mitarbeiter laut einem Sprecher fristlos entlassen. Auch European Homecare reagierte und sicherte den nordrhein-westfälischen Behörden zu, keine weiteren Subunternehmer zu beschäftigen und Mitarbeiter auf etwaige Vorstrafen zu überprüfen.

Ob nun auch die in Sachsen zuständigen Behörden so verfahren werden, ist noch unklar. Denn das 1989 gegründete Unternehmen European Homecare mit Sitz in Essen betreut derzeit im Freistaat rund 320 Flüchtlinge in Bischofswerda, Hoyerswerda, Leipzig und Werdau. Bereits in den 1990er-Jahren war die Firma zuständig für die Abläufe in der Erstaufnahmeeinrichtung in Chemnitz. Und es ist nicht das erste Mal, dass die Essener in die Negativschlagzeilen geraten sind. Schon 2004 stand es in Österreich im Mittelpunkt eines Skandals. Dort leitete European Homecare sechs Jahre lang das südlich von Wien gelegene Flüchtlingslager Traiskirchen. Damals wurde dort ein alkoholisierter Wachmann verdächtigt, eine Asylbewerberin aus Kamerun vergewaltigt zu haben.

Flüchtlingsheime privat betreiben zu lassen, ist in Österreich und Deutschland nichts Außergewöhnliches. Unter den deutschen Bundesländern hat Sachsen jedoch den höchsten Privatisierungsgrad in diesem Bereich. In mehr als 70 Prozent der 55 sächsischen Flüchtlingsunterkünfte bestimmen Unternehmen wie European Homecare, Humancare aus Bremen oder ITB aus Dresden den Alltag der Bewohner. Die Firmen erhalten dafür in der Regel zwischen 7 und 13 Euro je Asylbewerber pro Tag.

Größter Privatbetreiber in Sachsen ist die Dresdner ITB GmbH. Das Unternehmen führt die Heime in Delitzsch, Drebach, Neustadt, Radebeul, Schmiedeberg und Weinböhla. Im Heim-Tüv 2013 des sächsischen Ausländerbeauftragen landeten die ITB-Heime eher auf den hinteren Plätzen. In der Tageszeitung Die Welt räumte Firmenchef Wilfried Pohl in der vergangenen Woche erstmals ein, vor der Wende als Stasi-Offizier in Dresden Republikflüchtlinge verhört zu haben. Auch der letzte General der Leipziger Volkspolizei, Gerhard Straßenburg, hat im Asylgeschäft eine neue Basis gefunden. Sein Sicherheitsdienst betreut fast 400 Flüchtlinge in der Messestadt.

Für private Betreiber gibt es kaum Auflagen und wenig Kontrollen. Auch hinter die soziale Kompetenz ist ein Fragezeichen zu setzen. Für das Heim in Chemnitz-Furth etwa ist ein 70-jähriger Elektroingenieur verantwortlich, der einem Motorsportverein vorsteht. In Freiberg lenkt ein Immobilienhändler und Sportflieger aus dem Breisgau das Asyl-Geschäft. Für das Zwickauer Heim ist eine Firma zuständig, an der eine 70 Jahre alte Bar-Inhaberin aus dem hessischen Dreieich beteiligt ist.

Der Missbrauchs-Skandal in Österreich von vor zehn Jahren ist für European Homecare übrigens glimpflich ausgegangen: Der Wachmann wurde freigesprochen, die Asylbewerberin aus Kamerun, die ihn angezeigt hatte, musste sich anschließend wegen Verleumdung vor Gericht verantworten. Auch dieses Verfahren wurde ergebnislos eingestellt. (mit dpa)