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Von Honeckers Butler zum normalen Bundesbürger

Lothar Herzog bediente zwei Jahrzehnte lang den SED-Chef. Heute trägt der ehemalige Stasi-Hauptmann Zeitungen aus.

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© dpa

Von Jutta Schütz, Berlin

Stasi-Hauptmann, Oberkellner, Zeitungsausträger. Lothar Herzog, einst Butler von SED-Chef Erich Honecker, packt Stapel mit der „Berliner Woche“ in sein kleines silbergraues Auto. Gleich startet er seine Tour in der Nähe der Karl-Marx-Allee in Ostberlin. In der einstigen DDR-Vorzeige-Straße wohnt er heute auch mit seiner Frau.

Briefkasten für Briefkasten verteilt Herzog rund 1 400 Exemplare des Gratis-Anzeigenblattes, jeder Griff sitzt. „Zu Hause rumsitzen kann ich nicht“, sagt der 72-Jährige. Und für den Rentner-Job mit derzeit 6,38 Euro pro Stunde gebe es jetzt sogar Urlaubsgeld. Der einstige Stasi-Mann sagt im 25. Jahr der deutschen Einheit: „Ich bin ein normaler Bundesbürger geworden.“

Als 18-Jähriger aus dem heutigen Chemnitz nach Ost-Berlin zum Ministerium für Staatssicherheit gekommen, stieg der gelernte Kellner zu einem der persönlichen Honecker-Betreuer und Stasi-Personenschützer auf. Er bediente mehr als zwei Jahrzehnte den obersten DDR-Funktionär und dessen Frau Margot in der abgeschotteten Wohnsiedlung in Wandlitz, deckte auch im Urlaub den Tisch und begleitete „EH“ auf Reisen in mehr als 30 Länder. 1984 wurde Herzog von den Honeckers abgezogen. Warum, das wisse er bis heute nicht so genau, sagt der Ex-Hauptmann.

Ende 1989 habe er bei der Stasi gekündigt und im Palast der Republik als Oberkellner angeheuert. Als der dichtmachte, sei er zur Messe Berlin gewechselt, seine Vergangenheit habe keine Rolle gespielt. Fast bis zur Rente – über die er nicht klagen könne – blieb er dort.

Verfolgung Oppositioneller? Stasi-Haft? Zwangsadoptionen? Zerbrochene Leben Andersdenkender? „Ich konnte mir das nicht vorstellen“, sagt Herzog. „Wir waren in einer abgeschotteten Welt.“ Er habe wohl den Sinn fürs reale Leben verloren. „Es wurde immer nur von Feinden gesprochen.“ Nach dem Mauerfall sei er zwar geschockt gewesen, als das Vorgehen der Stasi öffentlich wurde. Er sei aber gleich so stark in seine neue Arbeit als Oberkellner eingebunden gewesen, dass sich Betroffenheit „nicht so eingestellt hat“.

Der DDR trauert Herzog nicht nach. „Heute denke ich, es konnte nicht gutgehen.“ Und er sieht die Vorzüge des geeinten Deutschlands – dass man jederzeit dorthin fahren könne, wohin man wolle. Oder, dass sich Bürger mit ihren Anliegen an „Institutionen“ wenden könnten. Ob er gelegentlich alte Genossen treffe? Der einstige Honecker-Betreuer sagt: „Am ehesten noch auf dem Friedhof.“ (dpa)