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Von einem, der auszog und ein Großer wurde

Mirko Lüdemann stammt aus Weißwasser und ist in Köln eine Eishockey-Legende. Für die Haie spielte er 23 Jahre – jetzt hat er seine außergewöhnliche Karriere beendet.

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© Wolfgang Wittchen

Von Sven Geisler

Ein Star wollte er nie sein. „Ich hatte es an meinem Idol Boris Becker gesehen: Erst heben dich alle in den Himmel, dann wirst du fallengelassen wie eine heiße Kartoffel“, sagt Mirko Lüdemann. Während seiner Eishockey-Karriere galt er als wortkarg, doch nun muss er in seinem neuen Job vor allem eines: reden. Der 42-Jährige ist bei den Kölner Haien direkt von der Profi-Kabine in die Marketingabteilung gewechselt, soll Sponsoren für den Verein gewinnen, für den er 23 Jahre lang in der höchsten Liga gespielt hat.

„Als ich angefangen habe, dachte ich: Hui, das wird ja lustig“, erzählt Lüdemann. „So eine 40-Stunden-Woche ist schon etwas anderes, als wenn man gegen 9 Uhr aufsteht, für zwei, drei Stunden zum Training geht und wieder nach Hause fährt.“ Aber er hat sich zügig reingefuchst in seine neue Aufgabe, bei der ihm sein guter Name hilft. Denn in der Eishockey-Welt ist er natürlich ein Prominenter, in Köln eine Legende. Das Banner mit seiner Rückennummer 12 hängt unterm Hallendach, sie wird nicht mehr vergeben.

„Man fühlt sich geehrt“, meint Lüdemann, und er weiß selbst am besten, dass er diese Wertschätzung nach 1 197 Pflichtspielen für die Haie mit den Meistertiteln 1995 und 2002 als Höhepunkte verdient. Seine Vereinstreue ist außergewöhnlich in einer Sportart, in der die meisten Spieler fast jede Saison wechseln. Der Verteidiger hat solche Angebote etwa aus Mannheim oder der Schweiz mit seiner Freundin Rebecca bei einer Flasche Rotwein besprochen – und sich jedes Mal für das gewohnte Umfeld entschieden, selbst wenn er woanders ein paar Euro mehr bekommen hätte.

Seine Heimat hatte Lüdemann dagegen schon als Junior verlassen. Kurz nach dem Mauerfall war er mit der Nachwuchsmannschaft von Weißwasser zum Turnier in Kanada eingeladen, 1991 ging er nach Fort McMurray in die Provinz Alberta zum Juniorteam der „Oil Barons“. „Ich habe dort anderes Eishockey kennengelernt: schneller und härter“, berichtet Lüdemann.

Eine wertvolle Erfahrung, zweifellos, aber nur ein Grund, warum er nach einem Jahr nicht nach Weißwasser zurückkehren und seinen ersten Profivertrag unterschreiben wollte. „Ich fühlte mich noch nicht reif genug dafür.“ Er wollte die Freiheit auskosten, die ihm das Leben in Kanada bot. Er ging aufs College, um sein DDR-Schulenglisch zu verbessern, und belegte später ein paar Fächer an der Highschool, jedoch weniger aus Lerneifer. „Ich wollte nicht den ganzen Tag zu Hause rumhängen, bis ich zum Training gehe“, erzählt er und lacht.

Rücktritt vor Olympia

Nach der Weltmeisterschaft mit der deutschen U20-Auswahl 1993 musste er sich entscheiden: zurück zum Heimatverein oder nach Köln. Dort, da redet er nicht um den heißen Brei, sei „der finanzielle Anreiz erheblich größer“ gewesen. Zudem setzte der russische Trainer Wladimir Wassiljew auf junge Spieler, sodass Lüdemann mit seinen gerade mal 20 Jahren schon beachtlich viel Eiszeit in der höchsten Klasse bekam.

Er wurde zum Nationalspieler, schoss in 132 Länderspielen 13 Tore, bevor er 2004 plötzlich zurücktrat. Bundestrainer Greg Poss bestand darauf, dass Lüdemann – inzwischen 31 – an den Turnieren wie dem Deutschland-Cup im November teilnimmt, die eigentlich den Talenten vorbehalten sind. „Er sagte: Wenn du nicht kommst, fährst du nicht mit zu Olympia“, erinnert sich Lüdemann. „Und ich antwortete: Ja, wenn das so ist, dann ist das eben so.“

Den besonderen Reiz der Spiele hatte er schon dreimal erlebt, wobei er sich am liebsten an die Atmosphäre in Lillehammer 1994 und Nagano 1998 erinnert. In Norwegen und Japan seien wirklich die Sportler aller Nationen und Disziplinen zusammen gewesen. „Wir sind uns täglich über den Weg gelaufen, haben gemeinsam gefeiert.“ Das war 2002 in Salt Lake City (USA) schon schwieriger, weil die Wettkampfstätten zu weit auseinander lagen.

Lüdemann hat sieben Weltmeisterschaften für Deutschland gespielt, die Zeit in der Auswahl möchte er nicht missen. „Wir waren ein verschworener Haufen, der Spaß kam nie zu kurz.“ Trotzdem kam ein Rücktritt vom Rücktritt für ihn nicht infrage. Genauso konsequent beendet er jetzt seine Karriere, auch wenn er Ende Oktober für ein Legenden-Spiel in Crimmitschau noch mal die Schlittschuhe hervorgekramt hat – und sich beim 1:9 gegen ein tschechisches Team fragt: „Was machst du hier? Ich hätte mich besser vorbereiten müssen, aber ich habe zurzeit einfach keine Lust, den Schläger in die Hand zu nehmen und aufs Eis zu gehen.“

Deshalb war es für ihn keine Option, noch ein Jahr bei den Lausitzer Füchsen in der DEL 2 ranzuhängen. „Wir haben darüber gesprochen, aber ehrlich gesagt, wüsste ich nicht, wie ich zum Beispiel die langen Fahrten am Spieltag wegstecke. Das hatte ich jahrelang nicht mehr. Vielleicht könnte ich die Erwartungshaltung der Fans nicht erfüllen und stehe am Ende blöd da – also lasse ich das besser“, erklärt Lüdemann. Und mit einem Augenzwinkern fügt er hinzu: „Ich habe ja auch ein gewisses Alter erreicht.“

Nach Weißwasser kommt er mit Rebecca und der fünfjährigen Tochter Leni trotzdem gern, um Eltern und Freunde zu besuchen. „Hier ist alles ruhiger als in der Großstadt, geerdet“, meint er. Als er vor 25 Jahren auszog, war die Glasmacherstadt im Umbruch, viele verloren ihre Arbeit. Und auch der Wohnblock, in dem er seine Kindheit und Jugend verbracht hatte, und später der gesamte Stadtteil Süd wurden abgerissen. „Jetzt hat es sich gut eingepegelt“, sagt Lüdemann. „Hier können wir dem Alltagsstress entfliehen und Kraft tanken.“ Die braucht er auch in seinem neuen Job.