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Von der Schule suspendiert

Der 13-jährige Autist Paul Zimmermann ging monatelang nicht in den Unterricht. Es gab Konflikte mit der Schule.

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© Marion Doering

Von Julia Vollmer

Stundenlang starrte er aus dem Fenster. Während seine Klassenkameraden über den Matheaufgaben schwitzten oder in der Pause zusammen lachten, saß Paul Zimmermann in seinem Zimmer und fühlte sich hilflos. Und einsam. Der 13-Jährige ging monatelang nicht zur Schule. Nicht, weil er nicht wollte, sondern weil er vom Unterricht suspendiert wurde.

Paul besuchte von der ersten Klasse an die Montessori-Schule. Jahrelang lief alles gut, doch bald gab es immer größere Probleme – mit den Mitschülern und den Lehrern. Im Oktober 2017 wurde er suspendiert, ab Dezember ging er nicht mehr zur Schule. Erst zu Ostern besuchte er mit der 101. Oberschule eine neue Schule. „Seine Lehrer sind nicht gut mit ihm zurechtgekommen“, sagt sein Vater Carsten. Immer wieder habe es Gespräche gegeben. Die Lehrer warfen Paul vor, dass er im Unterricht nicht mitmachen würde, erzählt seine Mutter Bianca Zimmermann. Doch das stimme nicht. Paul gehe trotz allem gern zur Schule und wolle lernen. Musik mag er gern und Mathematik – Zahlen liegen ihm.

Weil er gern lernt, hat Paul auch in der Zeit seiner Suspendierung versucht, nicht aus dem Rhythmus zu kommen. „Mein Wecker klingelte trotzdem täglich um 6.30 Uhr, ich stand auf und habe gelernt“, erzählt er. Um die Routine nicht zu verlieren, fuhr er trotzdem jeden Tag ein Stück mit der Bahn.

Seine Eltern schrieben viele Schulen an, keine hatte Platz für ihren Sohn. Mitten im Schuljahr war der Wechsel mehr als schwierig. Das Landesamt für Schule und Bildung half bei der Suche, bis sie schließlich in der Johannstadt einen Platz fanden.

Paul, der wie seine Eltern eigentlich anders heißt, und anonym bleiben möchte, bekam 2015 die Diagnose Asperger Autismus. „Ich habe Probleme mit Körperkontakt oder mit unerwarteten Veränderungen, alles was von der Routine abweicht, setzt mir zu“, erzählt der 13-Jährige. Unterrichtsausfall, Wandertage, Pausenhof-Frotzeleien – all das, was plötzlich neu ist, stellt den Jungen vor Schwierigkeiten.

Die Familie arbeitet eng mit der Autismus-Ambulanz der Uniklinik zusammen. Gleich nach der Diagnose 2015 stellte seine Mutter einen Antrag auf eine Schulbegleiterin. „Erst zwei Jahre später, ab August 2017, saß sie dann endlich im Unterricht bei ihm“, so sein Vater. Die Schulbegleiterin hilft ihm bei den Herausforderungen im Schulalltag, beim Lösen von Konflikten mit den Mitschülern und beim Strukturieren der Tagesabläufe.

Diese Begleitung ist für die Familien kostenlos, so die Stadt. Sie muss beim Jugend- oder Sozialamt beantragt werden. „Vorher wird geprüft, ob eine Behinderung oder eine Beeinträchtigung der Teilnahme am Unterricht vorliegt“, so Anke Hoffmann aus dem Presseamt. Trotz der Schulbegleiterin kam es bei Paul immer wieder zu Konflikten in der Schule.

Die Montessori-Schule möchte sich zu dem Fall nicht äußern. Sprecherin Viktoria Zumpe schreibt: „Trotz vielfältiger Möglichkeiten unserer Schule kann es passieren, dass die Vorstellungen zur Beschulung sich stark unterscheiden und die Grenzen der Beteiligten erreicht werden.“ Sei die Beschulung des Schülers nicht mehr sinnvoll oder nicht mehr leistbar, bedürfe es eines ehrlichen Austausches und einer gemeinsamen Entscheidung zum Wohle des Kindes. An der Schule lernen 485 Schüler, davon 28 mit sonderpädagogischem Förderbedarf. „Wir bedienen ein großes Spektrum bei der körperlichen, motorischen und geistigen Entwicklung, und auch Unterstützung bei Auffälligkeiten im Verhalten oder beim Lernen“, versichert Zumpe.

Laut sächsischem Kultusministerium gibt es eine dauerhafte Suspendierung vom Unterricht laut Schulgesetz nicht. Sondern nur Ordnungsmaßnahmen wegen eines Fehlverhaltens, eine davon kann ein Ausschluss aus der Schule sein. Bei Paul wurde offenbar seine angeblich fehlende Beteiligung als solches gewertet. Der Ausschluss sei mit einem Schulwechsel oder aufgrund medizinischer Gutachten mit einem Ruhen der Schulpflicht verbunden.

Nun hoffen Paul und seine Familie, dass er sich gut an der neuen Schule einlebt. „Eigentlich ist er dort unterfordert, wir hoffen, dass er irgendwann ein Gymnasium besuchen kann“, so seine Mutter.