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Von der Ostfront an den Rhein

Mehr als ein Jahr lang tat eine Dampflok nach dem Krieg Dienst in Riesa. Ein Enthusiast will sie zurückholen.

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© Stadtmuseum

Von Stefan Lehmann

Riesa. Züge sind Roland Georgis Leben. In seiner Wohnung in Riesa hat er unzählige Kataloge, Fotos und Videos der stählernen Riesen gesammelt. „Ich bin schon bei vielen Sonderfahrten unterwegs gewesen“, erzählt Georgi. Eine Dampflokomotive hat es ihm besonders angetan: die Baureihe 58, kurz BR 58. „Die wurde auch in Sachsen gefertigt“, erzählt Georgi, „in Chemnitz-Hilbersdorf“. Die Lok mit der Bezeichnung 58-311 war Anfang der 20er-Jahre in Karlsruhe gebaut worden. Während des Zweiten Weltkrieges ging es für die BR 58-311 wie für viele andere Dampflokomotiven an die Ostfront, ausgerüstet mit zusätzlichem Frostschutz. Erste Station war 1942 Groschowitz in Oberschlesien. Die Loks wurden im Osten des Reichs nicht nur zum Transport von Kriegsgütern eingesetzt. Die BR 58-311 soll auch Menschen ins Vernichtungslager Auschwitz gebracht haben, erklärt Thomas Benecke, Mitglied der Ulmer Eisenbahnfreunde. Es sei ein unrühmliches Kapitel – das man aber nicht aussparen dürfe. „Es ist nun einmal Teil der Geschichte.“

In einem Kalender stieß Roland Georgi auf die Dampflok BR58-311.
In einem Kalender stieß Roland Georgi auf die Dampflok BR58-311. © Sebastian Schultz

Roland Georgi stieß auf die 58-311 das erste Mal vor etwas mehr als einem Jahr. „Ich war auf dem Dampflokfest in Dresden.“ Auf der Händlermeile fiel ihm ein Kalender auf, der den 100. Geburtstag der Baureihe 58 feierte – und die Geschichte des Karlsruher Zuges erzählte.

Für den begann gegen Kriegsende eine regelrechte Irrfahrt: Werdau, Zwickau, Gera und Greiz tauchen in den Unterlagen auf – und Riesa. Die Elbestadt war sogar die erste Zwischenstation der Lok nach dem Krieg. „Laut Auszügen aus dem Betriebsbuch hat sie sich vom 13. Januar 1944 bis zum 26. Februar 1945 in Riesa aufgehalten und zählte zum dortigen Lokpark“, sagt Hans-Peter Fantoli. Er ist Mitglied der Karlsruher Sektion der Ulmer Eisenbahnfreunde, die sich heute um den historischen Zug kümmert. Die Odyssee des Zuges ging nach dem Krieg jahrzehntelang weiter. 13 Jahre war sie in Karl-Marx-Stadt eingesetzt, ihre letzte sächsische Station war Aue. In der BRD war das Modell da schon längst ausgemustert worden. Im März 1977 machte sich der Zug auf den Weg nach Bayern, wo er zunächst einige Jahre als Ausstellungsstück im Museum verbrachte, ehe ihn die Ulmer Eisenbahnfreunde an seinen Ursprungsort nach Karlsruhe zurückholten und wieder flottmachten.

Diese geschichtsträchtige Lok noch einmal nach Riesa zurückholen, das ist Roland Georgis Traum. Am besten noch in diesem Jahr, wenn die Serie 100 Jahre alt wird. „Oder aber zur 900-Jahr-Feier, das wäre doch was!“

Die historische Lok nach Riesa holen – theoretisch wäre das machbar, sagt Hans-Peter Fantoli. „Sicherlich ist es möglich, dass die Lok an ihren alten Wirkungsort auf Besuch zurückkehren kann.“ Fahrtüchtig ist das gute Stück noch, als eine der wenigen Erhaltenen aus der 58er-Baureihe. Der logistische und finanzielle Aufwand sei zwar erheblich, so Fantoli. Dennoch könne das Vorhaben „mit einhergehenden Veranstaltungen in Sachsen zustande kommen“. Was nun fehlt, ist jemand, der so ein Vorhaben auch federführend organisieren kann. „Wir stellen die Lok, um alles Weitere, beispielsweise die Werbung und das Personal, müssten sich dann andere kümmern“, stellt Fantoli klar. Schließlich sollte es möglichst auch Rundfahrten mit dem Zug geben können. Und es müsse sich auch für die Karlsruher Eisenbahnfreunde lohnen, denn eine Fahrt nach Riesa ist teuer. „Pro Eisenbahnkilometer kann man mit 20 Euro rechnen.“ Bei 600 Kilometer für eine Strecke komme da schon einiges zusammen, ganz zu schweigen vom zeitlichen Aufwand. „Man wäre wohl 24 Stunden unterwegs.“ Denn die Lok schafft höchstens 60 Kilometer pro Stunde und müsste schnelleren Zügen auf bestimmten Abschnitten Vorrang lassen. Ein Besuch der BR 58 in Sachsen ist aber trotzdem nicht ganz abwegig. Eisenbahnfreunde aus Dresden hätten auch schon Interesse signalisiert. Wenn sich also genügend Vereine fänden, dann sei ein Besuch in den nächsten Jahren auch drin.