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Von Arnsdorf in den Gas-Tod

Für ihre Mordaktionen nahmen die Nazis das Arnsdorfer Krankenhaus in Beschlag. Auch ein falscher Arzt spielte mit.

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© Thorsten Eckert

Von Bernd Goldammer

Arnsdorf. Solche Erinnerungen sind schwer verdaulich. Und Arnsdorfs Bürgermeisterin Martina Angermann musste sich unlängst wieder mit dieser sehr dunklen Seite der Gemeindegeschichte beschäftigen. Für eine Rede zum Gedenken an Tausende Opfer der sogenannten Nazimordaktion T4.

Beklemmend und bestürzend ist es, was Arnsdorfs Bürgermeisterin Martina Angermann während ihrer Recherchen zum schrecklichen Kapitel der Arnsdorfer Geschichte in Akten und Büchern las. Das Erinnern ist wichtig, sagt sie.
Beklemmend und bestürzend ist es, was Arnsdorfs Bürgermeisterin Martina Angermann während ihrer Recherchen zum schrecklichen Kapitel der Arnsdorfer Geschichte in Akten und Büchern las. Das Erinnern ist wichtig, sagt sie. © Bernd Goldammer

Der Begriff steht für eine edle Villa in der Berliner Tiergartenstraße. Hier wurden die Fäden für die deutschlandweiten Morde an Kranken gezogen – unter dem Begriff „Euthanasie“ dramatisch in die braune Historie Deutschlands eingegangen. Die Nazis teilten ein: in wertes und „unwertes“ Leben. Kranke, Behinderte, zählten für die selbst ernannten Herrenmenschen in die zweite Kategorie. Todesurteil! Und dieser Tod war im Rödertal ganz nah. Auch daran erinnert Martina Angermann in ihrer Rede. „Mit Hitlers Machtantritt 1933 begann für psychiatrische Patienten des Arnsdorfer Krankenhauses ein langes Martyrium.“ Viele überlebten die Jahre bis 1945 nicht.

Zahlen bilden Geschehen nur spärlich ab

Begonnen hatte alles mit der Sterilisation. Von 1934 bis 1940 wurden 294 Arnsdorfer Patientinnen sterilisiert. Grundlage war der „Erlass zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“. Was für ein Begriff! „Die Zahl ist genau nachzuweisen, doch sie bildet das grauenhafte Geschehen im Arnsdorfer Krankenhaus nicht gänzlich ab“, ist Martina Angermann sicher. „Denn als das sogenannte Dritte Reich in letzten Zügen lag, sind viele Akten vernichtet worden – die Täter wollten sich ihrer Bestrafung entziehen.“

Bei ihren umfangreichen Recherchen stieß die Bürgermeisterin auf viele Abscheulichkeiten. „1940 wurden 1 205 Patienten vom Arnsdorfer Krankenhaus abgeholt und zur Ermordung durch Gas in die Tötungsanstalt Pirna Sonnenstein gebracht“, weiß sie. 1941 gab es sogar 22 solcher Transporte – noch einmal 1 475 Patienten mussten in Pirna den Gas-Tod sterben. Dazu wurden sie von Krankenschwestern und Pflegern in einen als Duschraum getarnten Keller gebracht. Einige der Opfer ahnten wohl, was ihnen passieren würde. Den Gashahn öffneten schließlich Ärzte.

Asche kam auf die Deponie

Oft wurden den Toten die Köpfe abgeschnitten, um ihre Gehirne pathologisch zu untersuchen. Die Leichen ließ man verbrennen, ihre Asche landete auf einer Deponie. Angehörige, die nachfragten, bekamen Urnen mit fragwürdigem Inhalt zugeschickt. Speziell eingerichtete Standesämter fälschten die Totenscheine, um die Angehörigen über die Todesursache zu täuschen. Doch diese Pläne gingen nicht immer auf. Im Anzug eines zwölfjährigen Jungen wurde beispielsweise ein letzter Brief gefunden: „Bitte Mama, komm und hole mich“, schrieb er seiner nichtsahnenden Mutter. Ein erschütterndes Dokument! Aber menschliche Regungen waren den Medizinern der T4-Aktion offensichtlich abhandengekommen. Wenn es sich um ihre Patienten handelte, kannten sie keine Gnade. Wie war das möglich?

Für Martina Angermann bleibt das ein Rätsel. Sie weiß, welche trickreiche Propaganda-Aktionen all dem Voraus gingen. Sie hatten die Sichtweise vieler Menschen verändert. Im ganzen Land war jahrelang von „menschlichem Ballast am Körper des deutschen Volkes“ und vom erwähnten „unwerten Leben“ die Rede gewesen. Auch in Arnsdorf wurden Kinder in Schulklassen durch die Stationen des Krankenhauses geführt, begafften die Patienten. Dann wurden die Kosten ihrer Unterbringung ins Feld geführt. „Menschen sind manipulierbar – für mich bleibt aber erstaunlich, wie schnell damals ärztliche Eide gebrochen wurden, nur weil es der eigenen Karriere diente“, sagt sie kopfschüttelnd.

Das töten ging insgeheim weiter

Die Gasmord-Aktion wurde dabei im August 1941 offiziell eingestellt. Adolf Hitler gab selbst die Anweisung dazu. Ein möglicher Grund: Der Bischof von Münster, Clemens August Graf von Galen, hatte in mehreren Predigten die Vergasung psychisch Kranker angeprangert. Amerikanische Zeitungen hatten seine Predigten abgedruckt. Die Verbrechen erregten großes Aufsehen und das mitten im Krieg. Allein in der Tötungsanlage Sonnenstein starben 13 720 Patienten und missliebige Personen. Denn das massenhafte Töten von Behinderten und Kranken ging insgeheim ungemindert weiter! Der Kreis der Opfer wurde sogar noch erweitert. Jetzt kamen auch arbeitsunfähige Zwangsarbeiter, hirnverletzte Wehrmachtssoldaten und verwirrte Bombenopfer hinzu.

Einer der maßgeblichen Verantwortlichen in Arnsdorf war Robert Herzer. Angeblich ein Arzt. Doch nach seinem Tod wurde der während der Nazizeit ins Krankenhaus Großschweidnitz versetzte Herzer von der renommierten Stern-Journalistin Monika Schneider als „Arzt ohne Studien-Abschluss“ enttarnt. Er hatte sich seinen unmenschlichen Posten erschwindelt. Das Todeshaus war seine Station. Hier wurde den ausgehungerten Patienten Veronal und Luminal in viel zu hohen Dosen verabreicht. Robert Herzer erlangte bestialische Berühmtheit. 1947 wurde er von einem Dresdner Schwurgericht zu 20 Jahren Zuchthaus verurteilt. Dem Arnsdorfer Todesarzt Dr. Ernst Leonhard erging es ähnlich. Er wurde vom selben Gericht zum Tode verurteilt. Einen Tag nach der Urteilsverkündung erhängte er sich in seiner Zelle.

Arnsdorfs Bürgermeisterin will die Erinnerung an dieses furchtbare Kapitel der Arnsdorfer Geschichte wachhalten. „Wir müssen uns erinnern, um so etwas nie wieder zuzulassen“, ist sie überzeugt.