Merken

Von Arnsdorf aus in den Tod

In der NS-Zeit wurden fast 3 000 Patienten des Krankenhauses Opfer der Euthanasie. Ein Arbeitskreis will daran erinnern.

Teilen
Folgen
© Bernd Goldammer

Von Bernd Goldammer

Arnsdorf. Es ist das dunkle Kapitel in der Geschichte des Arnsdorfer Krankenhauses. Hier, wo Menschen mit geistigen Behinderungen und Problemen behandelt werden, spielten sich vor rund 80 Jahren wirklich Wahnsinnige als Herrscher über Leben – und vor allem Tod – auf. Denn auch vom Arnsdorfer Krankenhaus aus schickten die Nazis fast 3 000 Patienten in den Tod.

Euthanasie nannten die braunen Machthaber das, was sie da mit Aussortieren taten. Der Begriff wurde dabei von den Nazis zynisch mit „schöner Tod“ übersetzt. Für Jana Droste, Sprecherin des Arnsdorfer Arbeitskreises Gedenk-Kultur, ist das ein klassisches Beispiel für die extreme Täuschungskraft von Worten. Im Moment wird in Arnsdorf an der Fertigstellung eines Gedenkbuches gearbeitet, das die Namen von 2 681 ermordeten Patienten enthalten soll. „Ihr schreckliches Schicksal muss in Erinnerung bleiben, damit auch in kommenden Zeiten an die menschliche Verführbarkeit erinnert wird“, ist die Arnsdorferin überzeugt. Der Mantel des Schweigens, der seit vielen Jahrzehnten über dem Massenmord lag, wird gelüftet. Sie waren Menschen aus Fleisch und Blut. „In vielen Familien gab es Angehörige, die mit geistigen und körperlichen Besonderheiten zur Welt gekommen sind – Väter und Söhne litten auch an Kriegstraumen, die sie sich auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkrieg geholt hatten“, erklärt sie.

Pflege Behinderter würde zuviel Geld kosten

Patienten in Lebenskrisen fielen falschen Diagnosen anheim, weil sich die Psychiatrie noch in den Kinderschuhen befand. Als die Nationalsozialisten 1933 an die Macht kamen, bereiteten sie die massenhafte Tötung all dieser Menschen vor. „Rassenhygiene“ nannten sie das. Systematisch erschienen nun geistig Behinderte und Demente auf der Kinoleinwand. Plakate machten klar, dass die Pflege dieser Personen viel Geld kostet. Zu viel Geld, in den Augen der NS-Eliten. Und plötzlich war das Wort wieder da: Euthanasie, der schöne Tod. Karrierebewusste Ärzte experimentierten mit Kranken. Verwaltungen fälschten Totenscheine. Alles war vorbereitet.

Arnsdorf wurde zur sogenannten Sammelanstalt umgebaut. Mit Zügen kamen die Kranken aus Thüringen und Sachsen. Unter ihnen waren aber auch Patienten aus dem Epilepsiezentrum Kleinwachau im nahen Liegau-Augustusbad. Sie alle hatten in Arnsdorf nur eine kurze Verweildauer. Plötzlich standen vor den Stationen Busse. Den Kranken hatte man einen Ausflug in die Sächsische Schweiz versprochen.

Geruch von Marzipan und Bittermandeln

In der nicht weit entfernten Heil- und Pflegeanstalt Pirna-Sonnenstein wurden plötzlich Gaskammern eingebaut. Handwerker brachten Wasserleitungen und Duschköpfe an, durch die das Blausäuregas Zyklon B eingeleitet wurde. Die Kranken wussten nicht, was ihnen passieren würde. Nackt wurden sie von Krankenschwestern und Pflegern in den Duschraum geführt. Dann wurden die Türen geschlossen. Der Geruch von Marzipan und Bittermandeln strömte in den Raum. Plötzlich fielen die Patienten zuckend um.

Diese Schilderungen stammen von Dr. Sven Anders. Der Arzt wurde kürzlich bei einem Kriegsverbrecherprozess aufgefordert, die Wirkungsweise des tödlichen Gases Zyklon B darzulegen. Das Gericht wollte sich die tatsächliche Dimension dieser Verbrechen vor Augen zu führen. Der Todeskampf dauerte mitunter zwischen 30 und 60 Minuten. Die Leichen wurden anschließend in den neu aufgestellten Öfen des Anstalts-Krematoriums auf dem Sonnenstein verbrannt. Stundenlang muss der beißende Rauch über der Elbe und der Stadt Pirna gelegen haben.

Erinnerungskultur bedeutet für Jana Droste vom Arnsdorfer Arbeitskreis Gedenk-Kultur auch, heute mit wachen Augen durch die Welt zu gehen. Das, was sich in der NS-Zeit hier zugetragen hat, erzählt nämlich ebenso von den Menschen, die all das mitgetragen haben. Deshalb darf die Erinnerung an die 2 681 Ermordeten niemals verblassen, die von Arnsdorf aus direkt in die Pirnaer Gaskammer geschickt wurden.