Merken

Vom Stromanbieter abgezockt?

Ein Ehepaar aus Kaufbach musste fast 500 Euro nachzahlen, obwohl der Verbrauch nicht viel höher war als sonst.

Teilen
Folgen
© Jens Kalaene/dpa

Von Annett Heyse

Kaufbach. Irmgard Keßler blättert durch einen Ordner mit Post von ihrem Stromanbieter. Rechnungen aus mehreren Jahren liegen darin, aber auch von ihr selbst handbeschriebene Zettel. Darauf sind Daten und lange Nummern mit Komma vermerkt – die Stände ihres Stromzählers. Doch je länger Irmgard Keßler sich die Unterlagen durchliest, während ihr Ehemann Winfried dabei über die Schulter schaut, desto undurchsichtiger, unlogischer kommt ihr der ganze Fall vor. Sie weiß nur eines: „Wir sind unberechtigt zur Kasse gebeten wurden, und haben fast 500 Euro zu viel gezahlt! Und keinen interessiert das.“

Der Fall mit der nicht zu erklärenden Stromrechnung liegt schon eine Weile zurück, beschäftigt die Keßlers aus dem Wilsdruffer Ortsteil Kaufbach aber immer noch. Und er zeigt, wie sehr man sich im Markt von diversen Stromanbietern und Netzbetreiber verirren kann. Genau genommen beginnt die ganze Misere wohl spätestens im Mai 2016.

Winfried Keßler ist damals krank und liegt in einer Klinik. Seine Frau hat also andere Sorgen im Kopf, als zum Stichtag 31. Mai wie jedes Jahr den Stand des Stromzählers der Energieversorgung Ostsachen (Enso) zu melden. „Es kam auch keine Aufforderung. Normalerweise hatten wir immer eine Karte bekommen, auf der wir den Zählerstand eintragen mussten“, erinnert sich die Rentnerin. Schon 2015 übrigens sei die Karte ausgeblieben. Irmgard Keßler nimmt damals an, dass der Zähler – ein neueres, digitales Modell – nun vielleicht ausgelesen werde. „So genau kenne ich mich damit doch nicht aus.“

Am Juli 2016 kommt wie immer die Jahresrechnung und die ist gepfeffert. Weil die Zählerstände nicht gemeldet gewesen waren, hatte laut Stromanbieter Gold Power der Netzbetreiber Enso, dem auch die Stromzähler obliegen, den Verbrauch geschätzt. Und zwar auf 6 100 Kilowattstunden im Jahr, teilt Gold Power dem Ehepaar schriftlich mit. Die Keßlers, die sonst immer zwischen 4 000 und 4 500 Kilowatt verbraucht hatten und einen monatlichen Abschlag von 90 Euro zahlen mussten, stehen plötzlich mit 476 Euro in der Kreide. Und zahlen brav nach. „Ich hatte damals nicht den Mut und die Zeit, zu widersprechen“, begründet Irmgard Keßler.

Doch der Gedanke, über den Tisch gezogen worden zu sein, lässt sie nicht los. Zumal sie seit Juli 2016 plötzlich eine monatliche Vorauszahlung von 150 Euro leisten müssen – für einen Zwei-Personen-Haushalt. Nach ihrer Aussage erkundigt Irmgard Keßler sich bei der Enso und wird auf ihren Stromanbieter Gold Power, einem Tochterunternehmen der Gazprom, verwiesen. Von Gold Power erhält sie einen Brief, in dem steht, die Enso habe den Zählerstand möglicherweise zu hoch geschätzt und die Kaufbacher mögen sich dorthin wenden. Als sie dort wieder anruft, wird sie abgewimmelt. „Die Dame am Telefon war sehr unhöflich und hat mich schnippisch abgefertigt“, erinnert sich die Kaufbacherin an den Versuch, die Sache zu klären.

Undurchsichtige Behauptungen

Anfang 2017 wechselt das Ehepaar frustriert den Anbieter. Es erfolgt eine Endabrechnung von Gold Power für den Zeitraum Juni bis Dezember 2016 und die Überraschung: Der Verbrauch hatte sich auf den alten Durchschnitt eingependelt, es gab rund 250 Euro der zu hoch angesetzten monatlichen Abschläge zurück. Damit ist aber immer noch nicht geklärt, warum die Keßlers für den Abrechnungszeitraum 2015/16 die 476 Euro nachzahlen mussten.

Nun aber wird der Fall ganz undurchsichtig. Nachdem die Sächsische Zeitung bei der Enso nachfragt, was es mit der hohen Schätzung von 6 100 Kilowattstunden auf sich habe, schlägt der Stromversorger in seinen Unterlagen nach. Und stellt fest, dass Mitte 2015 lediglich ein Stromverbrauch von 3 500 Kilowattstunden geschätzt und dem Anbieter Gold Power auch mitgeteilt worden sei. Dass aber der reelle Verbrauch von Mitte 2014 zu Mitte 2016 wohl bei 4 800 Kilowattstunden pro Jahr gelegen habe. „Je mehr ich mich mit dem Fall beschäftige, desto undurchsichtiger wird das ganze“, klagt Irmgard Keßler.

Stromversorger Gold Power, der die 476 Euro eingezogen hatte, reagiert nicht auf eine Presseanfrage. Wie die Familie ihr vermutlich zu viel gezahltes Stromgeld zurückbekommt, ist also weiterhin offen.