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Vom Klöppelsack zum Designersitz

Bodennah und so bequem wie möglich sollten die kreativen Sitzmöbel der Designstudenten der Westsächsischen Hochschule Zwickau werden. Herausgekommen sind eigenwillige Entwürfe, von denen einer demnächst in Produktion gehen könnte.

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© dpa

Claudia Drescher

Schneeberg. Auf Federn montierte Topfdeckel, ausgediente Schallplatten oder zusammengefügte 08/15-Besen aus dem Baumarkt - wenn es nach den Studenten der Angewandten Kunst Schneeberg (AKS) geht, eignet sich prinzipiell alles zum Sitzen. Ein ganzes Semester lang konzentrierten die zehn Nachwuchsdesigner all ihre Sinne auf die berühmten vier Buchstaben. Bedingung: Kein klassischer Stuhl sollte entstehen, sondern ein Sitzmöbel in Bodennähe.

„Am Anfang haben wir erst einmal alles umfunktioniert, was wir finden konnten“, erzählt Julia Hrdlika. Alte Autoreifen, Schubkarren, Tabletts, geknickte Plaste-Kaffeebecher und sogar ein Klöppelsack von Oma mussten für die Ideenfindung herhalten. Am Ende fanden sich auf dem ebenfalls selbst konstruierten Messestand für die Internationale Möbelmesse Köln zehn vollkommen unterschiedliche Prototypen. Der publikumswirksame Auftritt bei der „imm cologne“ vom 18. bis 24. Januar war eine weitere Bedingung des Projekts und gehört zum Studium des Holzgestalters dazu.

Die Bodensitze wurden in zwei jeweils vier Meter hohen Fünfecken, die dank ihrer Leichtbauweise nur jeweils 70 Kilogramm wiegen, präsentiert. Eine Führungsschiene, die die männlichen Kommilitonen hin und her drehen durften, ermöglichte den perfekten Perspektivwechsel. „Setz dich mal anders!“ lautete das Motto, dem zahlreiche Messebesucher gern nachkamen. Auf Anhieb konnten sie zwar keinen Hersteller überzeugen, aber immerhin eine Idee könnte bald in Kleinserie produziert werden.

Denn der Entwurf von Markus Weber hat den Praxispartner besonders überzeugt. „Die Idee des bodennahen Sitzens kam von einem Unternehmer mit einer Leidenschaft für Yoga“, berichtet der Leiter der Studienrichtung, Prof. Jacob Strobel. Nach dem eigentlichen Training Ruhe finden, natürlich in Bodennähe, das war die Vorstellung.

Markus Weber lag mit seiner Ursprungsidee, überall dort Platz zu nehmen, wo man das eigentlich nicht darf, offensichtlich richtig. „Auf Omas Klöppelsack wollte ich mich schon als Kind setzen, also habe ich das auf die Spitze getrieben mit der Idee, dort zu sitzen, wo schon jemand sitzt“, erläutert der 30-Jährige. Ergebnis: Ein Sessel, der in seiner Anatomie selbst an einen sitzenden Menschen erinnert. Mit einem Griff ist er in zwei Teile zerlegbar und einfach zu stapeln. Das Formholz erlaubt zudem ein leichtes Federn.

Bewegung ist auch das Stichwort bei Julia Hrdlika. Aus ihrer Topfdeckel-Idee sind Sitzschalen geworden, die zum Schaukeln einladen. Ihre Mitstudentin Rebecca Schönherr hat einen Bodensitz entwickelt, der gleichzeitig Yoga-Trainingsgerät und Tragetasche ist. Das Sitzmöbel von Kim Höwerle hingegen adaptiert das Prinzip der Schnecke und lässt sich aufrollen. Andere setzen auf faltbare Konstruktionen, klappbare Mini-Hocker für Kinder oder Sitzsteine. Selbst für angehende Holzgestalter artfremde Materialien wie Filz verwandeln sich unter den Händen der Studenten zu Sitzmöglichkeiten.

Seit 1962 wird die Studienrichtung Holzgestaltung an der Außenstelle der Westsächsischen Hochschule Zwickau angeboten. Allein seit der Wende haben 160 Studenten das Studium erfolgreich abgeschlossen. Viele sind nach Auskunft von Prof. Jochen Voigt bei namhaften Designschmieden wie beispielsweise Thonet gelandet.

Andere haben die Freiberuflichkeit gewählt: So gehören auch die Erfinder und Begründer der renommierten Designmesse „Designers Open“ in Leipzig zur AKS-Familie. Ein anderer Absolvent betreibt ein mehrfach preisgekröntes Designbüro in China. Wieder andere erobern von Leipzig oder Dresden aus die Designwelt. Wie genau, dass zeigt ab 24. März eine Ausstellung unter dem Titel „Offspring“ in der hochschuleigenen Galerie Angewandte Kunst im Schloss Lichtenwalde bei Chemnitz. (dpa)