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Volles Haus beim Zeitzünder

Zum Filmabend im Rathaus wollen unerwartet viele Leute das 1983 in der Stadt Gedrehte sehen. Ein Munitionsexperte ist dabei.

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© Norbert Millauer

Von Ines Scholze-Luft

Coswig. Sie müssen ganz schön schleppen, die Teams von Ordnungsamt und Stadtmuseum. Die Stühle im Saal der ersten Rathausetage reichen nicht. Immer mehr Leute kommen. Jeder einigermaßen freie Platz wird besetzt. Gemurmel, Geraschel, Geräusper. Kinostimmung.

Plötzlich Stille. Ordnungsamtschef Olaf Lier begrüßt die über 100 Zuschauer, erfreut übers sehr rege und in dieser Größenordnung nicht erwartete Interesse an dem Fernsehfilm zu einer geglückten Bombenentschärfung. Vor 35 Jahren auch in Coswig gedreht, im Neubaugebiet Dresdner Straße. Mit etwa 100 Hobbydarstellern, Anwohnern der damaligen Otto-Grotewohl-, heute Lößnitzstraße. Gemeinsam mit dem Museum sei man immer auf der Suche nach alten Bildern und anderen Dokumenten zur Stadtgeschichte und so auch auf diesen Film gestoßen, sagt Olaf Lier.

Die Hände gehen hoch, als er nach den Schauspielern von damals fragt. Im Vorfeld der Aufführung am Donnerstagabend hat so mancher von seinen Dreh-Erlebnissen berichtet. Von einer unechten Telefonzelle, wo der Hörer fehlte – zum Ärger derer, die sie benutzen wollten. Andere Requisiten verschwanden spurlos – die Strohballen zum Abschirmen des Bombenfundorts. Sie wurden wohl dringend in manchem Garten gebraucht. Nicht verschwunden, aber trotzdem nicht da ist Tom Pauls, einer der Zeitzünder-Darsteller. Er lässt grüßen, eine Vorstellung bindet ihn anderweitig.

Dann bewegt sich das Bild auf der Leinwand. Mucksmäuschenstille im Saal. Baggerfahrer Pudrawski findet die Bombe. Alarm für Volkspolizei, Munitionsbergungsdienst, Feuerwehr, Rettungsdienst. Ihre Fahrzeuge, Lada und Barkas, rollen los. Telefoniert wird an Uralttelefonen, mit Wählscheibe. Auch um alles fürs Evakuieren wegen der Entschärfung der Bombe vorzubereiten.

Tiefdunkle Nacht. Nur die Treppenhäuser des Neubaublocks leuchten hell. Jetzt geht’s los, flüstert eine Frauenstimme. Zig Mal mussten sie die Treppen runter und hoch laufen, die Statisten, zum Glück mit leeren Taschen und Koffern. 15 DDR-Mark – steuerfrei – bekamen sie damals pro Person für sieben Drehtage. Viele gingen auch noch auf Arbeit. Trotz der Doppelbelastung habe die Filmzeit Spaß gemacht, heißt es. Für uns war es auf jeden Fall ein Highlight, sind die Zuschauer sich einig.

Die Statisten unter ihnen sollen damals wie die anderen Ausquartierten in einer Gaststätte abwarten, bis die Bombe keine Gefahr mehr ist. Da flackern familiäre Konflikte auf, zeigen sich ganz unterschiedliche Geschichten und Charaktere, vom Entsetzen der im Krieg Verschütteten über die geschäftstüchtige Wirtin bis zu der Frau, die nur den Termin mit dem Waschmaschinenmonteur im Kopf zu haben scheint.

Währenddessen bemühen sich Wolfgang Dehler als Sprengmeister Franke und sein Kollege um die Bombe. US-amerikanisches Fabrikat aus dem Zweiten Weltkrieg mit Langzeitzünder.

Ob das denn alles so richtig ist, wie die Schauspieler da arbeiten, will ein Mann wissen. Im Publikum sitzt ein Experte für solche Fragen: Daniel Großer-Scholz vom Kampfmittelbeseitigungsdienst Sachsen. Weit hat er es nach dem Film nicht nach Hause. Er wohnt in Coswig. Manchem aufmerksamen Fernsehzuschauer und Zeitungsleser dürfte er bekannt vorkommen. Hat er doch erst Ende Januar einen Blindgänger in Pirna mit entschärft – hier sollten insgesamt 1 800 Menschen ihre Häuser verlassen – und im Januar 2016 die Fliegerbombe auf der Baustelle der Handballhalle Dresden gegenüber der Yenidze.

Damit sie sich die Details noch besser vorstellen können, hat Daniel Großer-Scholz den Coswigern original Bombenteile aus dem Zweiten Weltkrieg mitgebracht, darunter einen Zünder, gut erhalten. Mit dem sogenannten Windrad. Es bewegt nach dem Abwurf eine Auslösespindel, die eine Glasampulle zerstört, deren Aceton-Inhalt diverse Zelluloidplättchen auflöst. Dann folgen Schlagbolzen, Detonator, Detonation, bis dahin kann es je nach Zünderlaufzeit von einer Viertelstunde bis 144 Stunden dauern.

Solche Teile wie die amerikanische Bombe gibt es in Sachsen relativ selten, sagt der Mann vom Kampfmittelbeseitigungsdienst. Doch wenn eine entdeckt wird, kann die Ausbausperre des Zünders zum großen Problem werden – damit kämpft das Entschärfungsteam auch im gerade gelaufenen Film. Deshalb wird eine solche Bombe meist gesprengt, sagt der Munitionsfachmann.

Wie aktuell das Thema ist, muss er nicht lange erklären. Und das Entschärfen der Weltkriegsbomben wird schwieriger, je älter und damit instabiler sie sind.

Für Olaf Lier ein weiterer Grund, mit dem Film aufmerksam zu machen auf die Gefahren durch Kriegsreste, auf die Bedeutung von Waffen überhaupt. Vielleicht auch an Schulen. Sowie möglicherweise noch einmal im Rathaus. Falls sich ausreichend Bedarf dafür ergibt, würden die Organisatoren prüfen, ob sich die Aufführung wiederholen lässt.