Merken

Volle Kraft voraus

Leipzigs Handballer haben die Pokalendrunde in Hamburg erreicht. Sogar der Europapokal ist für sie jetzt möglich.

Teilen
Folgen
© Mike Worbs

Von Tino Meyer

Das erste Mal vergisst man nie. Meinen die Handballer des SC DHfK Leipzig. Das Motto soll gleichzeitig ihr Programm sein für die Reise nach Hamburg, wo am Wochenende die Pokalendrunde stattfindet. Entsprechend groß sind Aufregung, Anspannung und Euphorie vor dem Debüt bei Deutschlands größter Handballveranstaltung, einem Zwei-Tages-Event mit jeweils rund 12 500 Zuschauern.

Für den Verein wie die Spieler, anlassgerecht gekleidet, soll die Pokalendrunde etwas Unvergessliches werden.
Für den Verein wie die Spieler, anlassgerecht gekleidet, soll die Pokalendrunde etwas Unvergessliches werden. © WORBSER-Sportfotografie

Zu ihnen gehörte in den vergangenen Jahren immer auch Karsten Günther, so etwas wie der Hans Dampf in der 2007 wieder gegründeten Abteilung des Mehrspartenvereins. 2010 hat Handball-Ikone und DHfK-Aufsichtsrat Stefan Kretzschmar ihn und einige Sponsoren zum ersten Mal nach Hamburg eingeladen. „Wir wollten den Leuten in Leipzig zeigen, was wir mit Erstliga-Handball überhaupt meinen“, sagt Günther, der damals nach den Halbfinals und einer kurzen Nacht zurück nach Leipzig musste – zum Oberliga-Spiel seiner Mannschaft, die er noch selbst trainierte.

Inzwischen ist er Geschäftsführer und seine Begeisterung schnell entfachbar – für Hamburg und vor allem die Entwicklung seines Vereins. „Die Endrunde ist komplettes Neuland für uns. Doch wir fahren da völlig verdient hin. Die Mannschaft hat Sensationelles geleistet“, findet Günther und erzählt, wie er im Vorjahr noch mit Trainer Christian Prokop auf der Tribüne saß und davon träumte, irgendwann mal selbst unten auf dem Spielfeld zu stehen.

Krassester Außenseiter

Auch Andreas Rojewski verbindet sehr gute Erinnerungen mit Hamburg. Mit dem Neuzugang vom SC Magdeburg haben die Leipziger sogar den einzigen Titelverteidiger in ihren Reihen. Er weiß also genau, was seine Mitspieler erwartet. „Diese Atmosphäre, die Größe der Halle, ... Das ist der Höhepunkt des Jahres mit einer wirklich einzigartigen Stimmung und für uns das i-Tüpfelchen auf einer überragenden Saison – egal, was noch passiert“, sagt der Rückraumspieler, der aber ziemlich genaue Vorstellungen von dem hat, was noch passieren soll.

Rojewski betont ausdrücklich, nicht nur zum Sightseeing nach Hamburg zu reisen – auch wenn der Gegner im Halbfinale kein geringerer als der THW Kiel ist und im möglichen Endspiel dann entweder Flensburg-Handewitt oder die Rhein-Neckar Löwen warten. Kurz zusammengefasst: Das ist das absolute Top-Trio der Bundesliga, drei Mannschaften besetzt mit reihenweise Weltklassespielern. „Wir sind der krasseste Außenseiter neben den großen drei, die alle einen doppelt so hohen Etat haben wie wir und Titel, die nicht schon mindestens 50 Jahre zurückliegen“, sagt Günther.

1966 gewann der SC DHfK ja den Europapokal der Landesmeister und zuvor sechs DDR-Meisterschaften. Kiel und Flensburg haben indes viele große Titel gesammelt. Die Rhein-Neckar-Löwen sind dann oft Zweiter geworden, aber im Vorjahr endlich Deutscher Meister. „Jetzt liegen wir also nur noch nach Sachsenpokalsiegen vorn“, sagt Günther, und er feixt genauso wie Trainer Christian Prokop, der einen bildlichen Vergleich wählt: „Man spricht ja gern vom Hecht im Karpfenteich. Diesmal sind drei Hechte und ein Karpfen im Teich.“

Die gute Laune, verbunden mit der komfortablen Rolle als unterschätzter Debütant, nehmen die Leipziger mit nach Hamburg und außerdem großen Optimismus. Gegen Kiel rechnen sie sich tatsächlich etwas aus, weil die einstige Übermannschaft zurzeit etwas schwächelt. Trotzdem haben die Kieler einen vielleicht entscheidenden Vorteil, wie Prokop meint: „Die Erfahrung in solchen K.-o.-Spielen ist der größte Unterschied. Ich freue mich auf die Endrunde, sehe aber auch den schmalen Grat, ohne Angst und doch mit Respekt ins Spiel zu gehen.“

Schafft der SC DHfK dennoch das Finale und damit die Sensation, geht die Reise in der nächsten Saison noch weiter. „Dann können wir nicht mehr mit dem Boot fahren, sondern müssen ins Flugzeug steigen“, sagt Günther und grinst schon wieder. Bereits als Finalist wäre Leipzig nämlich für den Europapokal qualifiziert, da Flensburg und die Rhein-Neckar-Löwen einmal mehr sicher die Champions League erreichen.

Günther kennt die Konstellation – und schiebt sie beiseite. Er hat anderes im Sinn. Es gehe darum, die Mannschaft bestmöglich zu unterstützen und einen emotionalen Mehrwert zu schaffen. Mehr als tausend Fans und gut hundert Sponsoren begleiten den Verein, dazu alle Spielerfrauen und sämtliche Mitarbeiter. 150 Hotelzimmer hat Günther in Hamburg gebucht.

Ihn stört auch nicht, wenn am Ende die 90 000 Euro der Antrittsprämie komplett draufgehen. Idealerweise soll die Endrunde „im Kopf hängen bleiben und Kraft geben für die nächsten zehn Jahre. Das ist ein Meilenstein in unserer Entwicklung“. Wer weiß schon, wann es das zweite Mal gibt.