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Voll auf Kollisionskurs

Die Riesaer Gummibärenbande hat 2014 und 2015 etliche Straftaten begangen. Der 30-jährige Fahrer nahm auf der Flucht vor der Polizei auch Verletzte in Kauf. Jetzt steht er vor Gericht.

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© Sebastian Schultz

Von Stephan Klingbeil

Riesa. Der Polizist saß in seinem Transporter, als er den schwarzen VW Passat immer näher kommen sah. Um auszusteigen und sich in Sicherheit zu bringen, war es zu spät. Er sollte die Straßensperre entrichten, so die Order über Funk – um das nun auf ihn zurasende Fluchtauto zu stoppen.

In dem Wagen saßen der Riesaer Robert L. und ein Komplize. Beide gehörten zu einer Bande mit sechs Mitgliedern, die 2014 und 2015 etliche Straftaten begangen hat.

Die Gruppe, die sich selbst die „Gummibärenbande“ genannt hat, trieb von Riesa aus ihr Unwesen, um sich Drogen und Lebensunterhalt zu finanzieren. Nach mehreren Großrazzien in Wohnungen und Garagen im Spätherbst 2015 war Schluss. Die meisten der Bandenmitglieder wurden danach zu längeren Haftstrafen verurteilt.

Seit Ende August muss sich der Fahrer Robert L. am Landgericht Dresden verantworten (SZ berichtete). Dem 30-Jährigen wird vor der Großen Strafkammer schwerer Bandendiebstahl und mehr vorgeworfen. Zwischen Juni und Oktober 2015 habe er elf Straftaten begangen. Er sei es gewesen, der auf andere Bandenmitglieder wartete, während diese auf Diebestour gingen. Mit gefälschten Dokumenten wurden zuvor die Kfz-Autos für die Flucht gemietet und geklaute Nummernschilder montiert.

Diese Woche wurde der Prozess gegen ihn fortgesetzt. Am dritten Verhandlungstag rückte auch die wilde Flucht von jenem 4. Oktober 2015 in den Fokus der Kammer. Der Komplize des Angeklagten hatte damals in einem Autohaus im niedersächsischen Holzminden einen Audi für eine Probefahrt nutzen wollen – das gab er zumindest vor. Der eigentliche Plan sah anders aus. Die Riesaer Bandenmitglieder wollten den 43 000-Euro-Wagen stehlen.

Die Autohausmitarbeiterin schöpfte aber Verdacht. Der Führerschein war offenbar gefälscht. Sie alarmierte unter einem Vorwand die Polizei. Als sich der Beamte näherte, roch der Komplize den Braten und floh, Robert L., der im VW auf einem Parkplatz in dem Gewerbepark gewartet hatte, sammelte ihn auf. Die Polizei fuhr hinterher. Die Verfolgungsjagd nahm ihren Lauf.

Rund 45 Minuten lang soll die Flucht durch mehrere Orte in Richtung Autobahn A 7 gedauert haben. „Die waren mit 200 Sachen unterwegs, innerorts mit bis zu 150 Kilometern pro Stunde“, erinnert sich der Polizist, der das Duo verfolgte. „Und ich dahinter war noch nie so schnell unterwegs, so etwas möchte ich nicht noch einmal erleben.“ In halsbrecherischer Manier düsten die Sachsen mit dem Passat durch Baustellen, rasten über Gehwege, touchierten ein paar Fahrzeuge, sie fegten fast ein Motorrad samt Fahrer von der Straße. „Da fehlten keine drei Zentimeter“, sagt der Polizist.

Schließlich donnerten die Tatverdächtigen hinter dem Ort Arholzen auf die Polizeisperre zu. Der Bulli der Beamten stand quer, mitten auf der Straße. Links und rechts war kaum Platz. Der Beifahrer stieg aus, stand hinter dem Polizeitransporter, der Fahrer sah derweil das Unheil heranrauschen. „Das schwarze Auto flog quasi auf uns zu“, so der 56-jährige Niedersachse. „Ich wusste, ich habe keine Chance mehr, aus dem Einsatzwagen zu kommen.“ Zum Glück für ihn schrammte Robert L. mit dem Passat durch die Lücke links vorbei, raste über Fußweg und Grünfläche, der andere Polizist blieb aber an ihm dran.

„Das hat mein Leben verändert“

Später war das Fluchtauto außer Sichtweite. Die Beamten fanden es Minuten danach verlassen in einem Nachbarort. Die Täter waren geflohen. Da der Angeklagte wohl sein Handy im Passat vergaß, klickten bei dem Familienvater in Sachsen bald die Handschellen. Derzeit verbüßt er bereits eine Haftstrafe wegen eines anderen Vorfalls.

Der Angeklagte, der seit seinem 14. Lebensjahr Drogen nahm, teils bis zu einem Gramm Crystal, bereut seine Taten.

Vor Gericht entschuldigt er sich in dieser Woche bei einer Frau aus Frauenhain in der Gemeinde Röderaue. Die selbstständige Unternehmerin wurde Opfer der Bande.

Als Robert L. im Fluchtwagen wartete, brachen drei Komplizen am 21. August 2015 in ihr Büro ein. Das befand sich im selben Haus wie ihre Wohnung. „Denen war total egal, ob da noch jemand im Haus war. Die haben alles verwüstet, den Tresor aus der Wand gerissen“, erinnert sich die Frau.

Rund 14 000 Euro lagen dort drin. Alles weg. „Ich hatte gerade eine Trennung hinter mir und damals das Geld nicht gleich zur Bank gebracht“, sagt sie vor Gericht. „Die Versicherung hat nur einen kleinen Teil des Schadens gezahlt. Ich war am Boden, wusste nicht, wie ich meine Mitarbeiter bezahlen soll.“ Der Einbruch hätte ihr Leben verändert. „Ich war ein lebenslustiger Mensch, jetzt ist alles anders. Ich habe Schlafprobleme, Herzrasen, muss immer alle Türen abschließen. Ich habe seither kein Gefühl mehr, sicher zu sein“, klagt die Frau. „Vielleicht schmeiße ich alles hin.“

Da muss der Angeklagte schlucken. Wird er verurteilt, bekommt er Haftnachschlag. Schuldfähig sei er laut Gutachter gewesen. Der Prozess wird fortgesetzt.