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Visite bei den Birken

Für die TU Dresden forscht Luzia Posselt in einer Rauschwalder Parkanlage. Dort stehen Veränderungen an.

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© Ralph Schermann

Von Ralph Schermann

Luzia Posselt ist im Birkenwäldchen unterwegs. Schritt für Schritt. Immer wieder macht sie Pausen, notiert, was an Gewächsen zu finden ist. „Das ist eigentlich eine sehr schöne Anlage“, findet sie. Dass manche Görlitzer diese Einschätzung nicht hundertprozentig teilen, versteht die 25-Jährige aber auch, vor allem, wenn sie sich Fotos der Anfangsjahre anschaut: Da war der ausschließlich von Regenwasser gespeiste Teich größer, das Ufer erreichbar, die Pergola aus Sandstein am Eingang Reichertstraße üppig voller Clematis. Höchste Zeit, sich um den kleinen Park am Ostrand von Rauschwalde mal wieder zu kümmern.

Genau das ist zurzeit Luzia Posselts Aufgabe. Die Absolventin der Professur für Geschichte der Landschaftsarchitektur und Gartendenkmalpflege an der TU Dresden untersucht das Birkenwäldchen zurzeit für ihre Masterarbeit. „Ich erstelle verschiedene Planwerke“, umreißt sie ihre Tätigkeit. Am Anfang steht der Grundlagenplan, der den Bestand an Gehölzen ebenso erfasst wie deren Vitalität. Am Ende wird eine Zielplanung stehen, die mit Empfehlungen die Weichen für die Zukunft der Parkanlage stellen soll. Kein Wunder, dass da auch die Stadtverwaltung großes Interesse zeigt: „Diese wissenschaftliche Arbeit ist uns eine große Hilfe“, sagt Reynard Werling, einer der drei Grünflächensachbearbeiter des Rathauses. Dabei ist schon abzusehen, dass man sich etwas einfallen lassen muss, soll der Name Birkenwäldchen auch künftig stimmen. Birken werden nämlich höchstens 120 Jahre alt. „Und die Bäume hier erreichen langsam dieses Alter“, erkennt Luzia Posselt. Birken wachsen als sogenannte Pioniergehölze zwar schnell, allerdings nicht im Schatten. Für eine Neuanpflanzung kommt daher keine schrittweise Zwischenaufforstung infrage. „Es muss alles gefällt und komplett ein neuer Bestand angelegt werden“, blickt Posselt voraus.

So wird sie es sicher auch mit ihrem Betreuer besprechen, Professor Dr. Marcus Köhler. Er war es, der ihr zwar zehn gemeinsam mit dem Dresdener Denkmalamt aufgestellte Vorschläge unterbreitete, sie aber bewusst für das Görlitzer Birkenwäldchen ermunterte. „Gehen Sie mal nach Görlitz, dort ist die Quellenlage in den Archiven sehr gut“, soll er mit als Grund genannt haben. Luzia Posselt kann diese Erfahrung bestätigen, lobt die Zusammenarbeit mit der Verwaltung und hat darüber schon fast vergessen, dass sie statt Görlitz auch hätte nach Rom fahren können. Dort wäre es für ihre Masterarbeit um Freiraumgestaltung gegangen. Dafür ist die junge Dresdnerin jetzt mal wieder nahe ihrer Heimat. „Ich bin in Zittau geboren und in Ostritz aufgewachsen“, erzählt sie. Ein großer Garten zu Hause prägte schon früh ihren Hang zur Natur, in der Schule bereits reifte der Wunsch, einen gestalterischen Beruf in dieser Richtung anzustreben. Eine Freundin schließlich empfahl ihr das Studium an der TU Dresden. „Das habe ich nicht bereut“, betont die junge Frau, die sich längst in allen Görlitzer Parks und Grünanlagen gut auskennt. Auch die Geschichte des Birkenwäldchens kennt sie genau:

In den 20er/30er Jahren baute die Stadt Görlitz kommunale Mietshäuser von der Südstadt aus in Richtung Rauschwalde, heute bekannt als Reichert- und Büchtemannstraße. Denn bis dahin gelangte man in das 1925 eingemeindete Rauschwalde über die Südstadt nur durch Felder und Wiesen. Auch auf diesen landwirtschaftlich genutzten Flächen entstanden ab 1950 weitere Hausbauten – der Wohnungsnot nach dem Zweiten Weltkrieg folgend. Als grüne Oase unbebaut dagegen blieb das noch heute von einigen Birken bestandene kleine Wäldchen, damals in Privatbesitz. Nach dem Flächenerwerb nahm sich der bekannte Stadtgartendirektor Henry Kraft dieses Wäldchens an und formte es zu einer öffentlichen Grünanlage. Als Eingang diente die gemauerte Pergola, und bei der Erweiterung legte Henry Kraft viel Wert auf möglichst besondere Stauden.

Wie bei vielen Grünflächen der Stadt, waren auch am Birkenwäldchen Görlitzer Bürger im Nationalen Aufbauwerk (NAW) unmittelbar beteiligt. In vielen freiwilligen Arbeitsstunden und mit aus heutiger Sicht einfachen Mitteln wurden Erdarbeiten verrichtet und Transporte durchgeführt. Es entstand ein abwechslungsreich gestalteter Wohngebietspark mit einer umpflanzten Wasserfläche, einer großen Wiese und Staudenbeeten. Gehölze in verschiedenen Wuchsformen und Gruppen unterschiedlicher Blütensträucher gaben der Anlage einen spannungsvollen Rahmen. Ein Spielplatz wurde 2010 neu gestaltet und passt sich in die 16 500 Quadratmeter umfassende Parkanlage harmonisch ein.

Alles Geschichte. Dass der Park aber eine gute Zukunft hat, steht für Luzia Posselt fest. Ihre Masterarbeit soll dazu beitragen. Ende Januar muss sie sie abgeben.

Wer private Fotos zwischen 1950 und 1990 aus dem Birkenwäldchen hat, kann diese leihweise zur Verfügung stellen. Nähere Informationen: Telefon 03581 672621 r.werling(at)goerlitz.de oder stadtgruen(at)goerlitz.de