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„Vielen Menschen droht Altersarmut“

Daniel Fuchs vom Paritätischen Wohlfahrtsverband warnt: Für die Mehrheit im Landkreis wird es bei der Rente eng.

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© Christoph Hardt/Future Image

Region. Die Arbeitslosigkeit sinkt, die Gehälter steigen. In der Oberlausitz brummt die Wirtschaft. Doch die Erfolge des Moments sollten den Blick auf drängende Probleme nicht vernebeln. Noch immer hinkt Ostsachsen bei den Löhnen weit hinterher, haben viele Menschen am Monatsende weniger als 2000 Euro brutto auf dem Zettel stehen. Bereits seit Jahren warnt der Paritätische Wohlfahrtsverband vor den Folgen geringer Löhne. Es geht um fehlende Teilhabe, aber auch um die Vorsorge fürs Alter. Im Interview mit der SZ fordert Verbandsvertreter Daniel Fuchs, Regionalleiter für Ostsachsen, ein klares Umdenken.

Im Gespräch mit der SZ warnt Daniel Fuchs vom Paritätischen Wohlfahrtsverband ausdrücklich vor den Folgen geringer Löhne. Er fordert, das Rentensystem zu reformieren – und einen höheren Mindestlohn. Foto: Thorsten Eckert
Im Gespräch mit der SZ warnt Daniel Fuchs vom Paritätischen Wohlfahrtsverband ausdrücklich vor den Folgen geringer Löhne. Er fordert, das Rentensystem zu reformieren – und einen höheren Mindestlohn. Foto: Thorsten Eckert © Thorsten Eckert

Die Kreise Bautzen und Görlitz hinken bei den Löhnen deutlich hinterher. Herr Fuchs, wie gerecht sind die Gehälter in der Region?

Ich denke, man kann das nicht auf die reinen Zahlen reduzieren, denn wer zum Beispiel im Kreis Bautzen näher an Dresden wohnt, hat vermutlich auch höhere Lebenskosten. Gerecht ist ein Lohn unserer Ansicht nach, wenn er gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht und man unabhängig von Aufstockerleistungen und anderen staatlichen Zuwendungen leben kann.

Trifft das für die Menschen in den beiden östlichsten Landkreisen Sachsens denn zu?

Dahinter stecken zunächst stets ganz individuelle Ansprüche. Was aber für jeden unbedingt notwendig ist, ist beispielsweise die Möglichkeit, etwas für die Altersvorsorge tun zu können, um später im Alter nicht in die Grundsicherung abzurutschen.

Der Statistik zufolge sind die Löhne in den vergangenen Jahren in Ostsachsen deutlich gestiegen. Wie sehr konnten die Beschäftigten davon profitieren?

Das kann jeder selbst beurteilen, wenn er sich die eigenen Lohnzettel der vergangenen Jahre genauer anschaut. Gerade bei den unteren Einkommen sind die Zuwächse nicht wirklich angekommen. Mit Blick auf die Bundestagswahl beteiligt sich der Paritätische deshalb am Bündnis Umverteilen. Untere Einkommen sollten steuerlich entlastet und höhere stärker belastet werden. Es kann nicht sein, dass Menschen, die hart arbeiten, mehr abgeben müssen als jene, die nur ihr Geld für sich arbeiten lassen.

Als konkretes Kriterium lässt sich der Mindestlohn von 8,84 Euro die Stunde heranziehen. Reicht das zum Leben?

Das muss man im Verhältnis betrachten. Der Mindestlohn gilt einheitlich für ganz Deutschland. Ich glaube, Ostsachsen wird von dem Mindestlohn eher profitieren als Kreise in Oberbayern. Ich bezweifle allerdings, dass man von einem Mindestlohn von 8,84 Euro vernünftig für das Alter vorsorgen oder mit den Kindern einen Ausflug machen kann, ohne den Euro zweimal umdrehen zu müssen. Der Mindestlohn sollte durchaus höher sein.

Firmenchefs verweisen darauf, dass manche Mitarbeiter die 8,84 Euro gar nicht erwirtschaften. Verstehen sie diese Argumentation?

Aus rein betriebswirtschaftlicher Sicht ist diese Aussage nachvollziehbar. Doch selbst der aktuelle Mindestlohn ermöglicht gerade einmal etwas mehr als die Existenzsicherung. Und es ist doch normal, dass Mitarbeitende innerhalb eines Unternehmens unterschiedlich zum Firmenergebnis beitragen. Aber alle werden gebraucht. Natürlich wird jemand ohne Qualifikation nicht die gleiche Vergütung erwarten können wie ein Facharbeiter. Gleichwohl kann eine Bezahlung, die unter dem Mindestlohn liegt, nicht sein, denn man würde die Lebenssituation der Betroffenen verkennen.

Vor allem für junge Leute geht es längst nicht mehr nur ums Geld. Sie erwarten neben dem Gehalt gewisse Extras ...

Ja, das stimmt. Die sogenannten Rahmenbedingungen spielen zunehmend eine Rolle. Das haben Untersuchungen immer wieder gezeigt und unsere rund 500 Mitgliedsorganisationen in Sachsen spiegeln uns das ebenfalls zurück. Familienfreundlichkeit, persönliche Wertschätzung oder ein gutes Klima im Team sind Beschäftigten wichtiger oder genauso wichtig wie die Höhe des Gehalts. Es sind jene Faktoren, die darüber entscheiden, ob jemand einen Job annimmt und wie lange er dort verweilt.

Welche Extras sollten Arbeitgeber heute auf jeden Fall bieten?

Jobticket, einen Zuschuss zur Kinderbetreuung oder der Obstkorb in der Mitarbeiterküche – es gibt viele Möglichkeiten, und jedes Unternehmen muss sehen, was es leisten kann. Wichtig ist, dass es für große Teile der Belegschaft passt. Wertschätzung und ein positives Arbeitsklima lassen sich schon mit kleinen Aktivitäten erreichen. Weiterbildungen oder andere Qualifizierungsmöglichkeiten stehen bei den Befragungen auch immer weit oben.

Es heißt immer, wer weniger als 2500 Euro im Monat verdient, dem droht Altersarmut. Das betrifft im Kreis Görlitz aktuell mehr als die Hälfte aller Beschäftigten ...

Wenn sich nichts ändert, werden Menschen vermehrt in die Grundsicherung im Alter abrutschen. Für uns ist klar, dass das staatliche Rentensystem so aufgebaut sein muss, dass am Ende eine Rente steht, die über die Grundsicherung hinausgeht. Das ist derzeit bei Einkommen, die unter 2500 Euro liegen, nicht möglich. Deshalb ist nicht gleich der gesamte Kreis von Altersarmut bedroht. Aber viele derer, die unter dieser Einkommensgrenze liegen, werden schon zweimal überlegen müssen, wofür Sie ihr Geld ausgeben.

Was muss sich denn ändern?

Die derzeitige gesetzliche Rentenversicherung sollte zu einer Erwerbstätigenversicherung weiterentwickelt werden. Sprich: Selbstständige, Beamte oder in anderen Versorgungswerken Versicherte kämen als Einzahler zu den bisherigen hinzu. Zudem sollten andere Einkommensarten wie Kapitalerträge oder Mieten zu Teilen ebenfalls mit zur Finanzierung beitragen. Das staatliche Rentensystem muss die Menschen im Alter wieder vernünftig absichern. Aktuell sehen wir das für die Zukunft nicht gewährleistet.

Gespräch: Sebastian Kositz