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Viel neues Leben in der Jakobstraße

Die Jakobpassage vereint jetzt schon sieben statt anfangs drei Gewerke. Demnächst öffnen auch ringsum drei neue Läden.

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© Pawel Sosnowski/80studio.net

Von Ingo Kramer

Anika Bomm ist in ihren 31 Lebensjahren schon ganz gut rumgekommen im Osten Deutschlands. Aufgewachsen im thüringischen Stadtilm, hat sie lange in Erfurt gearbeitet, dann in Leipzig, in Berlin – und seit einem Jahr ist sie in der Lausitz. Die Goldschmiedin, die unter dem Namen „Anousch“ firmiert, lebt in einem Hausprojekt im Rosenbacher Ortsteil Herwigsdorf, hat dort auch ihre Werkstatt. Seit Ende voriger Woche verkauft sie ihre handgefertigten Unikate in der Görlitzer Jakobpassage – dem Ladenlokal, das Fahrradbauer Sebastian König, Kleidungshändler Clemens Kießling und Möbelbauer Robert Melcher im April in der Jakobstraße 5 a eröffnet hatten.

Sebastian König, Anika Bomm, Clemens Kießling und Robert Melcher (v. l.) sind die Gesichter der Jakobpassage. Anika Bomm ist erst seit voriger Woche dabei. Die Goldschmiedin verkauftihre Arbeiten in der Passage. Im Frühling zieht auch ihre Werkstatt hier
Sebastian König, Anika Bomm, Clemens Kießling und Robert Melcher (v. l.) sind die Gesichter der Jakobpassage. Anika Bomm ist erst seit voriger Woche dabei. Die Goldschmiedin verkauftihre Arbeiten in der Passage. Im Frühling zieht auch ihre Werkstatt hier © nikolaischmidt.de

„Genau so etwas hatte ich gesucht“, sagt Anika Bomm. Allein einen Laden zu eröffnen kam für sie nicht infrage: „Ich wollte erst einmal irgendwo mitmachen und schauen, wie es läuft.“ Und es läuft gut an: „Gleich am vorigen Sonnabend haben sich Leute in einen meiner Ringe verliebt und ihn gekauft.“ Da war Anika Bomm gar nicht selbst vor Ort, denn sie kommt vorerst nur jeden Donnerstag nach Görlitz. Die anderen Tage braucht sie, um in ihrer Werkstatt zu produzieren.

Doch genau das ist das Prinzip der Jakobpassage: Es müssen nicht immer alle gleichzeitig vor Ort sein. Verkaufen kann auch einer der anderen. Am 22. April mit drei Inhabern gestartet, teilen sich sechs Monate später schon sieben Gewerke die Regale. Dazugestoßen sind neben Anika Bomm auch Axel Krüger, der hier ein Weindepot hat und einen Büroarbeitsplatz nutzt, Dilians Blaudruck, ein Paar aus der Görlitzer Südstadt, das vor allem Taschen im Blaudruck-Design verkauft, und schließlich das Snyggkästchen aus Leipzig, das kleinteiligen Schmuck anbietet.

„Damit ist unser Platz eigentlich aufgebraucht“, sagt Clemens Kießling. Zu Weihnachten kommt noch etwas Kommissionsware hinzu, aber mehr geht dann wirklich nicht mehr. Zumal der große Raum auch nicht zu eng zugebaut werden soll, denn die Jakobpassage setzt nebenbei auf Kultur. Bisher gab es vier Diskussions- und Informationsveranstaltungen sowie ein kleines Konzert, zudem eine Theaterveranstaltung pro Monat. „Die Krimilesung neulich war voll, die Diskussion zum Grundeinkommen auch“, freut sich Clemens Kießling. Mit 40 Sitzplätzen ist die Größe überschaubar. Kultur veranstalten die Passagengründer einerseits, weil sie selbst Lust darauf haben, andererseits natürlich auch, um neues Publikum in den Laden zu locken.

Inzwischen haben sie sich entschieden, auch die komplette erste Etage des Hauses anzumieten – immerhin 270 Quadratmeter. Dort sollen Büro- und Seminarräume entstehen. „Dafür gibt es mehrere Interessenten“, sagt Clemens Kießling. Im zweiten Stock wohnt er mit ein paar anderen Leuten, der dritte Stock und das Dachgeschoss sind im Rohbau: „Das ließe sich sicher auch noch ausbauen, falls noch mehr Bedarf entstehen sollte.“

Doch lässt es sich von alledem leben? Gibt es in Görlitz genug Kundschaft für die kreativen Passagengründer? Alle drei sind bisher zufrieden. Durch viele Sponsoren beim Ausbau ihres Ladenlokals waren sie nie wirklich in den roten Zahlen. „Und wir werden wohl noch dieses Jahr in den schwarzen Zahlen ankommen“, ist Clemens Kießling überzeugt. Die Görlitzer als Kunden reichen aber nicht aus. Auch viele Touristen kommen in die Jakobpassage – und das Internet ist ein zusätzliches Standbein. Clemens Kießling verkauft 60 Prozent im Internet, 40 Prozent im Laden. Bei Sebastian König schwankt das je nach Jahreszeit. „Im Sommer verdiene ich 80 Prozent vor Ort in Görlitz“, sagt er. Mit Beginn der kühleren Jahreszeit sinkt diese Zahl auf 50 Prozent. „Jetzt werden die Bastler und Sammler wieder im Internet aktiv“, sagt er. Sie bestellen bei ihm vor allem Originalteile aus den 1970er und 1980er Jahren. „Aktuell gehen zwei bis drei Pakete täglich in die Welt“, sagt er. Das meiste bleibt innerhalb von Europa, aber er hat auch schon nach Brasilien und Japan geliefert. Robert Melcher betreibt keinen Online-Shop, nur eine Internetseite, über die einige Anfragen kommen. Doch auch er hat seine Zusatzstandbeine: Einerseits Messen, andererseits einen „Showroom“ in Bannewitz bei Dresden, wo verschiedene sächsische Handwerker in einer umgebauten Schule ausstellen: „Dort verkaufe ich ganz gut.“ Ein Drittel seiner Aufträge erhält er über solche Wege, zwei Drittel in Görlitz.

Philipp von Haymerle freut sich, dass es so gut läuft. Bei der Europastadt GmbH kümmert er sich um die Kreativwirtschaft – auch um die in der Jakobstraße. Und er sagt: „In den nächsten vier Monaten werden in der unteren Jakobstraße drei weitere Läden öffnen.“ Der erste sogar schon am Mittwoch in der Jakobstraße 36, also direkt gegenüber der Jakobpassage. Er heißt „Mayerei – 7 Sachen & mehr“ und verkauft Damen- und Herren-Mode für alle Generationen. Ausgesuchte spanische und dänische Labels gehören unter anderem zum Sortiment. Neben Kleidung soll es auch ein bisschen Krimskrams geben. Im gleichen Haus öffnet voraussichtlich im Februar ein zweiter Laden, der unter anderem auch Bekleidung vertreibt. Und wenige Häuser weiter unten, in der Jakobstraße 40, will im November ein Unverpackt-Laden starten. Nahrung, Haushaltsartikel und Kosmetik sind dort lose zu haben, oft Bio-Produkte.

Die Gründer der Jakobpassage freuen sich, dass sich nun auch das Umfeld belebt. „Wenn wir den Anstoß für andere gegeben haben sollten, wäre das eine gute Sache“, sagt Robert Melcher. Auch Anika Bomm will künftig mehr Zeit hier verbringen: „Im Frühling zieht meine Werkstatt aus Herwigsdorf in den Keller der Jakobpassage.“ An einem Ort produzieren, verkaufen und neue Aufträge annehmen – so stellt sie sich ihre Zukunft vor. Sebastian König wird dann etwas weniger Platz für seine Fahrräder haben: „Aber immer noch genug.“