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Versucht, den Ausweis aufzuessen

Seit Jahren ist der Angeklagte der Staatsanwaltschaft bekannt. Seine Taten haben immer die gleiche Ursache.

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© dpa

Von Jürgen Müller

Gerichtsbericht. Das ist eine reife Leistung. Mit seinen gerade mal 27 Jahren hat der Angeklagte schon 110 Eintragungen bei der Staatsanwaltschaft. Nicht nur Staatsanwalt Dieter Kiecke hat ihn seit Jahren auf dem Kieker. Er kennt ihn schon, da war der Meißner noch gar nicht strafmündig. Dessen Eltern hatten sich verzweifelt an die Behörden um Hilfe gewandt, weil sie mit dem Sohn nicht klarkamen. Und auch das ist bemerkenswert.

Ein einziges Mal musste sich der Mann bisher vor Gericht verantworten, alle anderen Verfahren wurden eingestellt. Das spricht dafür, dass es sich zumeist um Bagatellkriminalität handelte. Einmal jedoch, kam es richtig dicke. Wegen räuberischen Diebstahls, eines Verbrechens stand er 2012 vor dem Meißner Amtsgericht. Und wurde freigesprochen wegen Schuldunfähigkeit. Er stand unter Drogen, hatte Rauschgift genommen und Alkohol getrunken. Doch ganz trocken kam er nicht durch den Regen. Er wurde in eine geschlossene Anstalt eingewiesen zur Entziehung. Bis April 2014 war er dort. Geholfen hat es nicht. Bei den Straftaten, die er diesmal beging, war er wieder zugedröhnt mit Rauschgift und hatte auch reichlich Alkohol in sich reingeschüttet.

Die Taten, die ihm diesmal vorgeworfen werden, oder besser die Umstände, sind teilweise außergewöhnlich. So wird der 27-Jährige beschuldigt, an einem Februarmorgen vorigen Jahres an einer Tankstelle einen anderen Mann mit Faustschlägen bewusstlos geschlagen zu haben. Danach haut er ab, rennt bei zwei Grad Minus mit freiem Oberkörper durchs Triebischtal. Als ihn die Polizei findet, bietet sich den Beamten ein schreckliches Bild. Der Mann ist am Kopf blutüberströmt. Doch er hat nicht etwa eine Kopfverletzung, sondern strich sich mit der blutenden Hand übers Haar. Er blutete, weil er sich selbst äußerst schmerzhaft in den Finger gebissen hatte. An der Tankstelle soll der Mann versucht haben, seinen Personalausweis aufzuessen. Das sorgt auch bei den Polizisten für Erstaunen. „So was sieht man nicht alle Tage“, sagt ein Beamter. Der Angeklagte habe gedroht, sich umzubringen: „Ich saufe mich zu Tode.“ Einsätze mit dem Angeklagten endeten für ihn meist in der Psychiatrie, sagt der Polizist.

Detektiv zu brutal?

Auch ein Verbrechen wird ihm vorgeworfen, deshalb findet die Verhandlung vor dem Schöffengericht statt. Das tritt nur zusammen, wenn eine Haftstrafe von mehr als einem Jahr zu erwarten ist. Der Angeklagte soll in einem Einkaufsmarkt Bier und gefrorene Rouladen geklaut haben. Während er an der Kasse eine Pizza bezahlte und großzügig Trinkgeld gab, versteckt er die Sachen in der Hose und unter der Jacke. Doch ein Detektiv hatte ihn beobachtet. Als er den Mann stellte, soll er um sich geschlagen und den Rucksack festgehalten haben. Außerdem beleidigte er den Detektiv auf das Übelste. Der reagierte rabiat, brachte den Mann zu Boden, fesselte ihn. „Ich holte auch einen Schlagstock raus, um zu zeigen, dass ich keinen Spaß mache. Von einem anderen Ladendieb habe ich schon mal eine Flasche auf den Kopf bekommen. Ich habe keinen Bock, wegen einer solchen Sache ins Gras zu beißen“, hatte der Detektiv in seiner polizeilichen Vernehmung gesagt. Selbst Kunden hielten die Vorgehensweise allerdings für überzogen. „Der Ladendetektiv brachte ihn brutal zu Boden, kniete auf ihm und fesselte ihm die Hände auf dem Bauch“, sagt ein 62-jähriger Zeuge aus.

Auch eine Körperverletzung wird dem Angeklagten vorgeworfen. Er wollte sich Drogennachschub holen, doch der Mann, bei dem er Crystal kaufen wollte, hatte keines. Daraufhin trat er ihm die Wohnungstür ein, versetzte ihm Kopfstöße und Faustschläge ins Gesicht.

Der Vorfall an der Tankstelle kann nicht aufgeklärt werden, weil der Geschädigte unter partieller Amnesie leidet. Erst hatte er einen Strafantrag gegen den Angeklagten gestellt, jetzt kann er sich an nichts mehr erinnern. Vielleicht liegt das auch an den zwei „Feierabendbier“, die er vor der Verhandlung getrunken hat.

Auch der räuberische Diebstahl kann dem Angeklagten nicht nachgewiesen werden. Das Gericht kommt zu der Überzeugung, dass er nicht geschlagen hat und auch nicht versuchte, das Diebesgut zu behalten. „Es ist einiges aus der Anklage weggebrochen“, sagt der Vorsitzende Richter und verurteilt den Mann wegen Körperverletzung, Diebstahls, Sachbeschädigung, Beleidigung und Hausfriedensbruchs zu einer Geldstrafe von 1150 Euro. „Das ist dennoch ziemlich günstig für Sie ausgegangen“, stellt der Richter fest. Von einer erneuten Unterbringung in der Psychiatrie sei man aber weit entfernt.

„Es ist Ihr großes Glück, dass sich Ihre Eltern so um sie kümmern, sonst wären Sie längst in der Gosse gelandet“, hält Staatsanwalt Dieter Kiecke dem Angeklagten vor. Der wird demnächst eine erneute Entziehung und Therapie in Angriff nehmen.