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Verletzt, aber glücklich

Als junge Frau verliert eine 56-Jährige ihr erstes Kind. Für ein besonderes Projekt hat sie ihre Geschichte noch einmal erzählt.

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© privat

Von Maria Fricke

Region Döbeln. Das Leben in ihrem Bauch, es erfüllt Heike* und ihren Mann mit unbändiger Freude. Bald sollten sie das kleine Wesen in ihren Armen halten, es sollte das Glück vollkommen werden lassen. Doch an jenem Tag, als das Baby 1981, einen Tag vor Silvester, auf die Welt kommt, verläuft nichts mehr normal.

Jens Ossada (links), Julita Decke und Daniela Jacob vom Verein Müllerhof Mittweida gehören zum Projekt-Team.
Jens Ossada (links), Julita Decke und Daniela Jacob vom Verein Müllerhof Mittweida gehören zum Projekt-Team. © André Braun

Eine unendlich scheinende Geburt, schwindende Kräfte bei der Mutter, Hektik auf der Entbindungsstation. Heike spürt: Hier ist etwas nicht in Ordnung. Als das Kind auf der Welt ist, kommt es sofort in eine Spezialklinik. Die Mutter bleibt zurück. Am 1. Januar kommt die Nachricht: Das Kind hat den Kampf ums Überleben verloren. Heike stürzt in ein tiefes Loch.

Ihr Vater reißt sie dort wieder heraus. Er schickt sie zur Betriebsfeier. In der Gemeinschaft blüht Heike wieder auf. Sie und ihr Mann folgen dem Rat des Arztes, so schnell wie möglich wieder schwanger zu werden. 1983 wird der zwei Sohn geboren, zwei Jahre später der dritte. Heike findet den Weg zurück ins Leben. Die Erinnerung an ihr erstes Kind hält sie bis heute fest. Der Junge ist Teil der Familie. Heike hat den Umbruch geschafft, sie ist, nach einer schweren Krise wieder aufgestanden.

Heike ist heute 56 Jahre alt. Ihre Geschichte ist Teil eines besonderen Projektes, das anderen Menschen helfen soll, nach ähnlichen Erlebnissen wieder auf die Beine zu kommen. Über die Autorin Sylvia Eggert aus Leisnig, die ebenfalls in das Projekt involviert ist, habe Heike davon erfahren. Im Gespräch mit der Autorin, die zugleich auch Freundin ist, habe sie ihre Geschichte noch einmal erzählt. Eggert schrieb sie für Heike auf. „Beim erzählen habe ich mich gut gefühlt“, sagt die 56-Jährige. „Sonst hätte ich es auch nicht getan.“ Es sei wichtig, dass Menschen nach einer Krise wieder Mut finden, ein neues Leben anfangen, sagt Heike. Dazu wolle sie mit ihrem Erlebnis beitragen.

Ihre Geschichte ist eine von fast 90 Stehaufgeschichten, die das Team des Vereins Müllerhof Mittweida seit Frühjahr dieses Jahres erreicht haben. In diesen berichten Menschen von Wendepunkten in ihrem Leben. Von Bränden, von Geschlechtsumwandlungen, von verstorbenen Kindern. „Uns haben sehr hochwertige, tiefgründige Geschichten erreicht. Wir haben inhaltlich schwere Stoffe aus den Leuten herausgeholt“, fasst Jens Ossada zusammen. Der Ehrenberger Künstler hat die künstlerische Leitung des Projektes übernommen. Er ist beeindruckt, was für ernste und bewegende Geschichten die Menschen aus ganz Mittelsachsen zu erzählen haben. Bis Ende des Jahres, so glaubt Ossada, werden um die 100 zusammenkommen.

Veröffentlicht sind die Geschichten auf einer Internetseite. Einige von ihnen haben die Projektmitarbeiter bereits bei Veranstaltungen im Kreis vorgetragen. Am vergangenen Freitag waren Ossada und sein Team das vorerst letzte Mal mit den Geschichten unterwegs. In der Kleinen Galerie des Döbelner Rathauses zeigten sie im Rahmen einer Abschlusspräsentation, was in den vergangenen Monaten aus den Geschichten entstanden ist. Der Fotozirkel des Müllerhofes präsentierte Fotos zum Thema Umbrüche, die für diesen Anlass zusammengestellt worden sind. Julita Decke, selbst Projektmitglied, tanzte ihre Umbruch-Geschichte. Ossada zeigte Schilder mit Wortimpulsen wie „Genau“. Im Raum Mittweida, dem Sitz des Vereines, sind Ossada zufolge bereits einige Wände von dem Projektteam gestaltet worden. Weitere würden folgen. Ob es die Geschichten auch einmal in einer Druckversion geben wird, ist zurzeit noch offen. Bei Veranstaltungen hatte das Team um Ossada stets Ordner dabei, in denen die ausgedruckten Texte abgeheftet waren.

„Umbrüche – Steh-auf-Geschichten aus Mittelsachsen“ – unter diesem Titel geht das Projekt Ende des Jahres zu Ende. Doch Ossada verrät: „Wir machen weiter. Die Internetseite bleibt. Es können weiter Geschichten eingereicht werden.“ 2018 gehe es nun darum, mit den Geschichten zu arbeiten. Geplant seien dazu verschiedene Workshops mit vielen Künstlern. Ziel sei es, die Erlebnisse der Mittelsachsen in Form von unterschiedlichen Genres wie Bildern, Tänzen oder Spielen zu verarbeiten. „Es wird einen neuen Namen, ein neues Logo und eine neue Ausrichtung geben“, kündigt Ossada an. Mehr will er zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht verraten.

Dass das Projekt so gut angenommen worden ist, habe ihn positiv überrascht. „Unser Hauptaktionsradius ist Mittweida, aber wir haben Geschichten aus Döbeln, Leisnig, Freiberg bis hin zum Erzgebirge erhalten“, sagt Ossada. Von einigen Lesern habe er auch die Rückmeldung bekommen, dass die Geschichten ihnen Mut gemacht hätten, in schweren Zeiten wieder aufzustehen.

*Auf Wunsch der Betroffenen wurde der Name anonymisiert.