Merken

Verjüngungskur für einen Chor

Der Männerchor Poisental ist 65 und hat ein 156-jähriges Erbe. Für die Zukunft sucht er neue Sänger. Ein Balanceakt.

Teilen
Folgen
© Karl-Ludwig Oberthür

Von Dorit Oehme

Freital. Auf den Tischen stehen Gläser mit Servietten. Bei der Ankunft gab es schon Schnittchen und ein Bier. Jetzt schließt Ursula Berndt die Durchreiche bis zur Pause. Ihr Mann Fritz Berndt war Sänger im Männerchor Poisental. Er ist vor über drei Jahren verstorben. Doch sie verköstigt weiter die 25 Chormitglieder und pflegt ihr Domizil an der Rudeltstraße 1 in Freital-Niederhäslich.

In den Probenraum weht Abendluft durchs offene Fenster. Drinnen reihen sich die Tenöre und Bässe rings ums E-Piano. Mit einem lockeren „Du-bi-du-ba“ stimmt sie Hendrik Dienel (Jahrgang 1983) aufs Singen ein. Er ist seit diesem Jahr künstlerischer Leiter des Männerchores und setzt neue Akzente. „Für uns ist es wichtig, jüngere Sänger zu gewinnen“, sagt Vereinsvorsitzender Klauß Heßelbarth. Mit dem neuen Chorleiter ist da schon ein Anfang gemacht. Der Chor selbst aber hat Tradition.

Kürzlich feierte der Chor am Steinernen Tisch im Poisenwald sein 65-jähriges Bestehen. Der Bobritzschtaler Männerchor sang mit. Beim Konzert wurde an die Fahnenweihe des Männergesangsvereins „Silberblick“ vor 155 Jahren erinnert. Der Verein wurde schon 1861 im Ratskeller Niederhäslich gegründet. Aus ihm ging der Männerchor Poisental hervor. Er gehört in der Region nun zu den ältesten, in Freital ist er sogar der einzige Männerchor.

„Früher gab es in fast jedem Stadtteil einen“, betont Vereinschef Heßelbarth. Er fing mit Anfang 40 im Chor an. „Ich war Ingenieur für Fördertechnik, Kollegen sprachen mich an.“ Der 66-Jährige wohnt in Freital-Hainsberg, längst nicht alle sind mehr Poisentaler. Daniel Betker kommt aus dem Wilsdruffer Ortsteil Braunsdorf. Der 37-Jährige ist der jüngste Sänger und von Beruf Tischler. „Weil ich teils selbstständig bin, kann ich mir langfristig geplante Auftritte in der Woche ab und zu einrichten“, sagt er.

Kleine Auftritte hatte er schon als Kind in Bad Gottleuba. Der Großvater war Schulleiter und Wanderführer. Mit seiner Erzgebirgsgruppe gestaltete er Baudenabende mit aus. „Ich bekam die Texte als Symbole, bevor ich lesen konnte. Bis heute fasziniert mich, wie jeder die eigenen Töne beisteuert. Privat höre ich Klassik bis Metal“, sagt Betker. Inspiriert habe ihn der schwedisch-dänische Musikfilm „Wie im Himmel“. Darin nimmt sich ein weltberühmter Musiker eines örtlichen Chores an. „Ich bin froh, dass ich Traditionen im Chor erfahren kann. Ein Teil ist das gesellige Miteinander“, sagt Betker. Die Zukunft aber ist ungewiss. Mit dem jungen Chorleiter und seinen, wie er sagt, frischen Auffassungen zur Arbeit im Männerchor werde der Einstieg neuer Sänger aber vorbereitet.

Hendrik Dienel hat im Fernstudium Kirchenmusik studiert und ist ausgebildeter Chorleiter. Seit zwölf Jahren ist er als ehrenamtlicher Organist tätig. In Hetzdorf leitet er einen gemischten Chor. „Die meisten Lieder sind für diese Chöre geschrieben. Für den Männerchor muss ich sie komplett umarrangieren, weil der Stimmumfang geringer ist“, erklärt er. In der Probe erklingt Traditionelles und Neueres. Das Lied „Arcobaleno“ fällt auf. Einstimmig singen die Männer zur Gitarre auch „Über den Wolken“ von Reinhard Mey. Das alte Lied „Das Lieben bringt groß Freud“ intoniert Hendrik Dienel sogar als Boogie-Woogie am Klavier. „Die innewohnende Schönheit von Volksliedern tritt oft erst zutage, wenn man mit etwas Abstand darauf schaut“, sagt er. Dazu sei es gut, die starke Verbundenheit von Text und Melodie ab und zu aufzulösen. So entstehe ein neues Lied, das aufhorchen lässt. Die Zukunft eines Männerchores sehe er auch in Projektarbeit. Darin könne sogar einmal ein Kinderchor einbezogen werden. „In Hetzdorf konnten wir das Interesse des Publikums schon mit ähnlichen Experimenten gewinnen.“

Rund 25 Auftritte hat der Männerchor jährlich. Zu hören ist er am Steinernen Tisch, in Seniorenheimen, den Rehakliniken Kreischa und Hetzdorf, bei der Mettenschicht in der St. Jakobuskirche Pesterwitz und auf Weihnachtsmärkten. Bei den Freitaler Kultur(all)tagen waren die Sänger zu Gast. Auch auswärts treten sie auf. Eine kleine Panne gab es ausgerechnet vor einem Chortreffen im Leipziger Gewandhaus. „Als wir eintrafen, fehlte der Notenkoffer. Er lag im Bus. Doch wir konnten ihn rechtzeitig holen“, verrät Klauß Heßelbarth augenzwinkernd.

Geprobt wird jeden Dienstag, 19 Uhr; Tel. 0351 6495922 (Herr Heßelbarth)

Zur Website