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Vergessener Brauch

Das Brezelsingen wurde mehrfach wiederbelebt. Nun scheint es erneut verschwunden. Eine Spurensuche.

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© aus den Mitteilungen des Landesvereins Sächsischer

Von Eric Weser

Region Riesa. Hat die Kinderschar eine Bäckerei geplündert? Es sieht ein wenig danach aus, so viele Brezeln stapeln sich auf dem Stab, den die kleinen Mädchen und Jungen in den Händen halten. Es handelt sich um eine historische Aufnahme eines alten Volksbrauchs, des sogenannten Brezelsingens, das vor allem im Wülknitzer Ortsteil Peritz erhalten geblieben sein soll.

Das Schwarz-Weiß-Foto stammt aus einem Mitteilungsheft des Landesvereins Sächsischer Heimatschutz aus dem Jahr 1930. Dort heißt es, dass das Peritzer Brezelsingen „wohl das Austreiben des Winters und das Begrüßen des Frühlings darstellen (soll). Mit Fähnchen begleiten die Kinder den Lenz auf seinem Siegeszuge.“ Autor Alfred Klitzsch erklärt, wie die Brezeln dazukommen: Mit selbst gebastelten Stäben, an deren Spitze ein Fähnchen befestigt ist, ziehen die Kinder am Sonntag Laetare, dem vierten Sonntag in der Fastenzeit, von einem Gehöft zum nächsten im Dorf, wo sie ein Sprüchlein vortragen.

„Alle Bewohner des Hauses stehen lächelnd in der Hausflur und sehen sich die kleine Gesellschaft an. Die Hausfrau aber übereicht jedem Kinde ... eine Brezel, die von unten ... an den Fahnenstock geschoben wird. So geht es nun von Haus zu Haus ...“, beschreibt Autor Klitzsch. Nach einer mehrstündigen Tour durchs Dorf komme jedes Kind auf „fünfzig bis hundert“ Gebäckstücke. „Und wie schmeckt’s dann gut!“

Aber gibt es das Brezelsingen auch heute noch? Bis vor einigen Jahren zumindest, sagt Elke Michael. Die Peritzerin gehört zu denen, die den alten Volksbrauch zuletzt wieder mit Leben erfüllt hatten, nachdem er von der Bildfläche verschwunden war. Inzwischen seien aber ihre Kinder groß. Nachfolger, die den Brauch am Leben erhielten, hätten sich nicht gefunden.

Damit scheint sich die wechselvolle Geschichte des Brezelsingens fortzusetzen: Denn schon Anfang des 20. Jahrhunderts war der Brauch beinahe verschwunden, Grund war offenbar der Erste Weltkrieg. „Nur dem alten Dorfkantor ist es zu verdanken, dass er wieder auflebte“, heißt es in den Aufzeichnungen von Alfred Klitzsch. Im Lauf der Jahre geriet die Sitte anscheinend wieder in Vergessenheit. Im Nachwendejahr 1991 berichtete die Sächsische Zeitung, dass der Tradition ein Bild beim Peritzer Dorffest-Umzug gewidmet wurde.

Neben Peritz soll das Brezelsingen auch noch in anderen Orten der Gegend vertreten gewesen sein – darunter Lichtensee und Koselitz. Tatsächlich können sich ältere Anwohner noch daran erinnern. In Koselitz verschwand der Brauch jedoch dem Heimathistoriker Reiner Eltzsch zufolge mit dem Beginn des Zweiten Weltkrieges und kehrte nicht wieder. In Lichtensee sei der Brauch schon „vor mindestens 50 Jahren“ eingeschlafen, sagt eine Anwohnerin, die als Kind noch selbst beim Lichtenseer Brezelsingen dabei war.

Ob der Brauch zumindest in Peritz wieder an Fahrt aufnimmt? In Peritz stehen die Chancen allem Anschein nach nicht sonderlich gut. Bei den jungen Müttern im Ort bestehe kein Interesse an der Tradition, schätzt die Anwohnerin Elke Michael.