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Verbrecherjagd bis über die Grenze

Polizisten aus Sachsen, Brandenburg und Polen üben die Verfolgung bis ins Nachbarland. Bald ist noch mehr möglich.

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© dpa/Pawel Sosnowski

Von Frank Seibel

An der Grenze hört die Verständigung auf. „Wir haben keinen Funk- und keinen Telefonkontakt mehr“, sagt Martina Specht in den Raum und schaut kurz von ihrem Computer auf. Der Mann am Kopfende des großen ovalen Tisches nickt und sagt ruhig: „Versuchen Sie, Kontakt zu den Kollegen in Brandenburg aufzunehmen.“ Das ist Dirk Linczmajer, der Leiter der sechsköpfigen Führungsgruppe im Lagezentrum der Polizeidirektion Görlitz. Er hat Martina Specht und drei männliche Kollegen am großen Tisch im Blick, die alle in ihre Laptops schauen und gelegentlich zum Telefonhörer greifen. Hinter Linczmajer fiept, knackst und tutet es – hier ist der Funker im Einsatz.

Im Lagezentrum in Görlitz laufen alle wichtigen Informationen ein.. Von hier aus werden sie in die gemeinsame Einsatzzentrale in Swiecko bei Frankfurt/Oder übermittelt.
Im Lagezentrum in Görlitz laufen alle wichtigen Informationen ein.. Von hier aus werden sie in die gemeinsame Einsatzzentrale in Swiecko bei Frankfurt/Oder übermittelt. © dpa/Pawel Sosnowski
Wenn alles klappt, liegt am Ende der Autodieb im Nachbarland am Boden.
Wenn alles klappt, liegt am Ende der Autodieb im Nachbarland am Boden. © dpa/Pawel Sosnowski

Kommunikation ist alles in diesem Raum, in dieser Situation. Vor wenigen Minuten kam eine Meldung herein, dass in Schwarzkollm bei Hoyerswerda eine Tankstelle überfallen wurde. Zwei maskierte Männer sind geflüchtet und unterwegs in Richtung Osten. Einer der Beamten am Tisch hat sich gleich eine Landkarte auf den Monitor geholt und begonnen, mit der Maus die Route der Verbrecher nachzuzeichnen. „Sie können in Richtung Autobahn fliehen oder in Richtung Grenze“, sagt er. Den sechs Polizisten im Raum ist klar, dass dies kein ganz normaler Polizeieinsatz der Direktion Görlitz wird. Dieser Einsatz kann sie in das benachbarte Bundesland Brandenburg führen, aber auch ins Nachbarland Polen.

Streifenwagen im Funkloch

Dass dies ein besonderer Vormittag ist, wissen die Polizisten. Dieser Überfall, diese Verfolgung im Grenzgebiet zwischen Sachsen und Brandenburg, Deutschland und Polen ist nur eine Übung. Deshalb stehen ausnahmsweise mehrere Kamerateams und Fotografen um sie herum. Die Öffentlichkeit soll mitbekommen, wie das läuft mit der Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden. Das Szenario kennt nur Dirk Linczmajer, der Chef. Und was die Beamten auf ihren Monitoren sehen und über Telefon erfahren, passiert tatsächlich live draußen in der Welt. So kommt es, dass ein Einsatzwagen plötzlich im Funkloch verschwindet. Da ist die Polizei nicht besser dran als jeder Privatmensch, der an der Neiße keinen Handy-Empfang hat. In diesem Fall sind andere Polizeistreifen erreichbar, von mehreren Seiten werden die Räuber verfolgt.

Noch ein Alarm

Zur selben Zeit geht im Lagezentrum ein zweiter Alarm ein. In Reichenbach wurde ein BMW gestohlen. Noch eine Verfolgungsfahrt, diesmal schnurgerade auf der B 6 in Richtung Görlitz. Das Team im Lagezentrum hat gut zu tun. Ständig neue Informationen zu den Positionen der Täter und der Einsatzkräfte. Ständig geben sie die Informationen weiter nach Swiecko bei Frankfurt/Oder. Dort ist die grenzüberschreitende Zentrale der Polizei von Polen und Deutschland für den gesamten Grenzraum zwischen Usedom und Zittau. Dort ist die entscheidende Schnittstelle, an der Informationen aus dem Deutschen ins Polnische übertragen werden und umgekehrt. Auch wenn an diesem Vormittag alle auf ein Finale mit Action hoffen, damit es schöne Bilder gibt – der Kern der Arbeit, der über Erfolg und Misserfolg entscheidet, bleibt unsichtbar. „Der gestohlene BMW ist jetzt in Görlitz am Brautwiesenplatz“, sagt Martina Specht ins Telefon – die Botschaft an Swiecko: „In drei Minuten ist er an der Grenze.“ Jetzt muss sich auf der polnischen Seite ein Team startklar machen. Genauso läuft es im Norden bei Podrosche.

Verfolgung bis nach Polen

Was die Polizisten im Lagezentrum und draußen in den Einsatzwagen noch nicht wissen: Das Thema des Tages ist die Nacheile. Deutsche Polizisten verfolgen Verbrecher bis nach Polen. Die Übung funktioniert. Um halb zwölf kommt der geklaute BMW an der Altstadtbrücke in Görlitz an. Der Dieb springt aus dem Auto und rennt über die Brücke nach Zgorzelec. Zwei deutsche Polizisten rennen hinterher. Schlussspurt, einige Hundert Meter weit. Drüben jault die Sirene eines polnischen Polizeiwagens. Die deutschen Polizisten holen den Dieb am polnischen Ufer ein, halten ihn fest, da bremst schon der polnische Einsatzwagen, die „Policja“ nimmt den Mann fest und schiebt ihn ins Auto. Abfahrt aufs Revier in Zgorzelec.

Genau das passierte übrigens am Tag zuvor tatsächlich: Deutsche Polizisten jagten zwei Ladendiebe vom Baumarkt im Görlitzer Norden bis nach Polen; mit Verfolgungsjagd auf der Autobahn.

Der Görlitzer Polizeipräsident Conny Stiehl ist zufrieden. Die Abstimmung hat geklappt, alle Beamten haben richtig gehandelt, genau nach den geltenden Gesetzen. Die gleiche Übung könnte im Sommer schon wieder anders laufen. Dann dürfen die deutschen Polizisten den Dieb nicht nur festhalten, sondern auch selbst mitnehmen aufs Revier. Das erlaubt das deutsch-polnische Polizeiabkommen, das im vorigen Mai in Zgorzelec unterzeichnet wurde und im kommenden Mai auch vom Bundestag ratifiziert werden soll.