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Vattenfall-Verkauf womöglich auf der Kippe

Ein Dresdner Konkurrent sieht unerlaubte Beihilfen – und klagt. Die EU-Kommission prüft.

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© André Schulze

Von André Anwar, Stockholm, Tilo Berger und Michael Rothe

Das Ding ist noch nicht gegessen“, sagt der Dresdner Anwalt Friedrich Cramer. Nachdem Vattenfall eingeräumt hatte, dass der Verkaufstermin für seine ostdeutschen Braunkohleanlagen an die tschechische EPH-Gruppe nicht zu halten ist, sieht der Jurist Bewegung in den Fall kommen: bei den Wettbewerbshütern in Brüssel und bei der Politik in Schweden.

Der staatliche Energieriese trägt sich seit 2014 damit, seine fünf Braunkohletagebaue in der Lausitz (einer ist mittlerweile stillgelegt), drei zugehörige Kraftwerke und einen Block in Lippendorf bei Leipzig zu verkaufen. Mitangebotene zehn Wasserkraftwerke waren am Ende nicht mehr im Paket. Vattenfall wollte das Geschäft eigentlich Ende August vollzogen haben. Nun spricht der Konzern von einem Abschluss „im Herbst“.

Grund der Verzögerung ist eine bei der EU-Kommission eingegangene Klage gegen den Deal wegen angeblich unerlaubter staatlicher Beihilfe. Absender: Friedrich Cramer namens der in Dresden ansässigen Lausitz Mongolia Mining Generation AG (LMMG). Das deutsch-mongolische Unternehmen hatte sich ebenfalls für die Vattenfall-Sparte interessiert, im Dezember aber eine Absage erhalten – trotz einer Offerte von 1,85 Milliarden Euro und ohne Begründung. Ähnlich war es zuvor der Umweltschutzorganisation Greenpeace ergangen.

Stattdessen bekamen im April die EPH und ihr Finanzpartner PPF Investments den Zuschlag und im Juli den Segen der schwedischen Regierung. Zu EPH gehören in Deutschland bereits das Bergbauunternehmen Mibrag und dessen Tochter Helmstedter Revier GmbH. EPH verspricht, den Vattenfall-Tarifvertrag für die rund 8 000 Beschäftigten zu übernehmen. Bis Ende 2020 soll es keine betriebsbedingten Entlassungen geben. Sachsens Staatsregierung lobt die Entscheidung von Vattenfall. Sie gebe der Region Sicherheit.

Doch nun prüft die EU-Kommission, ob der Verkauf gegen Beihilferegeln verstößt, sagte Kommissionssprecher Ricardo Cardoso dem staatlichen schwedischen Fernsehsender SVT. Bei der Klage handle es sich um einen anderen Verfahrensweg als bei der standardmäßigen Prüfung großer Unternehmensverkäufe. Es sei deshalb unklar, wie lange es dauern werde, so Cardoso.

Preis könnte sich verdoppeln

Vattenfall hatte angekündigt, offen und transparent mit dem Geschäft umgehen zu wollen. Doch der Verkaufspreis für die Tschechen wurde nie öffentlich erklärt. Hingegen ist laut SVT bekannt, dass Vattenfall umgerechnet 1,57 Milliarden Euro in die Kasse der deutschen Tochter stecken musste, um sie verkaufen zu können. Das Geld soll offiziell in die Pflege und Sanierung der Tagebaue fließen. Aber weil es sich um eine so große Summe handelt, sei unklar ob es sich bei dem Geschäft wirklich um einen Verkauf handelt oder ob Vattenfall den Tschechen indirekt Geld für die Übernahme geben musste. Vattenfall wollte gegenüber dem Sender weder auf die Klage noch auf die Frage eingehen, ob der Konzern dazu gezwungen war, Geld zu bezahlen, um die Braunkohleanlagen loszuwerden. Die Summe, die Vattenfall EPH überlassen will, halten Insider für grenzwertig. Die Grünen in Sachsen und Brandenburg befürchten, dass das Geld nicht reicht. Die bisherige Sanierung der beiden ostdeutschen Bergbaureviere zeigt: Eine Milliarde Euro ist schnell weg.

Sollte die EU dem Deal nicht zustimmen, könnte die Übernahme im besten Fall weiter verzögert werden, weil der Vertrag überarbeitet werden muss. Schlimmstenfalls müsse Vattenfall einen gänzlich neuen Verkaufsprozess starten, so SVT.

Dann wäre auch die LMMG wieder im Bieterrennen. Doch wer verbirgt sich hinter der Dresdner Adresse? Die LMMG entwickelt und baut Energieanlagen. Sie wird von „einflussreichen mongolischen Investorengruppen und renommierten deutschen Industrieunternehmen“ getragen, wie es auf deren Website heißt. Wer da agiert, verrät das Unternehmen nicht.

Die LMMG will Braunkohleabbau und -verstromung in Sachsen stilllegen und so der Energiewende Genüge tun. „Aber erstens dauert das noch mindestens 20 Jahre, und außerdem retten wir dennoch bis zu 8 000 Jobs in der Lausitz“, sagt Anwalt Cramer. Der Plan: Die LMMG entwickelt, baut und steuert moderne Hybridkraftwerke in der Mongolei: eine Kombination aus Sonne, Wind, Kohle. Mit sächsischem Know-how und deutscher Technik würden die Asiaten befähigt, Klimaauflagen zu erfüllen und dennoch ihre wertvollen Rohstoffe zu fördern. Auf deren Uran, Gold, Silber, Kupfer, Diamanten, Steinkohle und seltene Erden ist vor allem Deutschland scharf.

Die Ausgebooteten wittern Morgenluft – zumal laut Cramer mittlerweile auch schwedische Politiker das sommerliche Kabinettsvotum hinterfragen würden. Immerhin könnten auf das Land als Noch-Eigentümer Gesamtkosten von über drei Milliarden Euro zukommen, sollte die EU-Kommission eine unzulässige Beihilfe sehen: der an die Tschechen gezahlte „negative Kaufpreis“ zur Rekultivierung der ostdeutschen Tagebaue und die gleichhohe Strafzahlung an Brüssel.

Vattenfalls Gelassenheit nennt Cramer gespielt. „Wenn alles so klar wäre, könnte man gleich sagen, dass es sich nicht um eine Beihilfe handelt und müsste für die Erklärung keine Fristverlängerung beantragen“, sagt der Anwalt. Es bleibe spannend.