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US-Soldat wegen Feigheit angeklagt

Fünf Jahre war er Geisel der Taliban - isoliert, gefoltert, an sein Bett gekettet. Nun muss sich Bergdahl zu Hause gegen die Anklage wegen Fahnenflucht und Feigheit vor dem Feind wehren. Aus dem Taliban-Folterkäfig in die Einzelzelle des US-Militärs?

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© US Army / dpa

Von Jens Schmitz, SZ-Korrespondent in Washington

Dem einzigen US-Gefangenen im Afghanistan-Krieg droht lebenslange Haft zu Hause: Am Mittwoch (Ortszeit) beschuldigte die US-Armee Sergeant Bowe Bergdahl der Desertion und des Fehlverhaltens vor dem Feind. Der 28-Jährige war 2009 von seinem Posten in der Provinz Paktika verschwunden und in die Gefangenschaft der radikalislamischen Taliban geraten. 2014 hatte das Weiße Haus die Geisel im Tausch gegen fünf Guantanamo-Insassen freigekauft.

Barack Obama mit den Eltern von Bowe Bergdahl am 31. Mai 2014 vor dem Weißen Haus: Der Präsident hatte entschieden, den US-Soldaten im Austausch gegen Taliban aus der Gefangenschaft zu befreien. Foto: dpa
Barack Obama mit den Eltern von Bowe Bergdahl am 31. Mai 2014 vor dem Weißen Haus: Der Präsident hatte entschieden, den US-Soldaten im Austausch gegen Taliban aus der Gefangenschaft zu befreien. Foto: dpa © dpa

Knapp zehn Monate nach Bergdahls Freilassung erklärte ein Armeesprecher die Vorwürfe auf dem Stützpunkt Fort Bragg im Bundesstaat North Carolina: Die Klage laute auf „Desertion mit der Absicht, sich wichtigen oder gefährlichen Pflichten zu entziehen, und Fehlverhalten vor dem Feind durch Gefährdung einer Befehlszentrale, einer Einheit oder einer Einrichtung“, sagte Colonel Daniel King. Ehemalige Kameraden von Bergdahl haben behauptet, auf der Suche nach ihm seien mehrere Soldaten ums Leben gekommen. Sein Anwalt bestreitet das, auch eine Untersuchung der „New York Times“ hat keine Belege gefunden.

Eine Jury muss nun zunächst das Material der Anklage prüfen. Wenn sie entscheidet, dass die Indizien ein Verfahren rechtfertigen, bringt sie den Fall vor ein Kriegsgericht. Fahnenflucht wird mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft; Fehlverhalten vor dem Feind kann mit lebenslanger Haft geahndet werden. Beide Vorwürfe rechtfertigen die Aberkennung des militärischen Rangs, eine unehrenhafte Entlassung und den Verlust sämtlicher Bezüge.

Nach bisherigem Kenntnisstand hat Bergdahl am 30. Juni 2009 nur mit Wasser, Kompass und einem Messer ausgerüstet seinen Posten im ostafghanischen Mest Malak verlassen. Er erreichte ein nahegelegenes Dorf, wo er vom Hakkani-Netzwerk gefangen genommen wurde, das mit den Taliban in Verbindung steht. Es ist unklar, ob er den Kontakt zu ihnen bewusst gesucht hat. Bergdahl soll sich im Vorfeld sehr kritisch über den US-Einsatz in Afghanistan geäußert haben. Sein Anwalt Eugene Fidell veröffentlichte ein Stellungnahme, in der Bergdahl massive Misshandlungen durch die Taliban beschreibt.

Fidell zufolge verließ sein Mandant seinen Posten, um Führungspersonal über Missstände zu informieren. Er habe nicht vorgehabt, seinem Dienst dauerhaft fernzubleiben. Selbst der zuständige Chefermittler sei zu dem Schluss gekommen, „dass seine Motive rein waren“, sagte Fidell dem Nachrichtensender PBS. Der Jurist beklagt, nicht zu allen Akten Zugang zu haben. Angesichts der öffentlichen Vorverurteilung seines Mandanten sieht er Probleme für die Bildung einer unvoreingenommenen Jury.

Die Entscheidung des US-Präsidenten, Bergdahl gegen fünf Taliban-Mitglieder freizukaufen, wird bis heute heftig kritisiert. Der republikanische Senator Lindsey Graham, der eine Präsidentschaftskandidatur erwägt, sagte am Mittwoch, er habe „nichts als Verachtung“ für den Deal.

Obamas Sicherheitsberaterin Susan Rice hatte unmittelbar nach Bergdahls Befreiung gesagt, er habe „mit Ehre und Auszeichnung“ gedient. Andere Regierungsmitarbeiter gingen damals nicht ganz so weit, erklärten aber, es sei unwahrscheinlich, dass Bergdahl nach fünf Jahren Taliban-Haft noch einmal ins Gefängnis komme. Das sehen viele Beobachter weiterhin so. Ein Militärverteidiger sagte der Nachrichtenagentur AP, das Pentagon habe vermutlich vor allem Anklage erhoben, um zu verhindern, dass Bergdahl für seine selbst provozierte Kriegsgefangenschaft auch noch eine Entschädigung beanspruchen könne.