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Unvollendet und abgehängt – aber Deutschlands Bester

Der Bahnhof des Jahres steht in Dresden. Dumm nur: man kommt schlecht hin.

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© Matthias Rietschel

Von Michael Rothe

Die eigene Anreise war wohl die schwierigste Aufgabe für die Jury zur Wahl von Deutschlands „Bahnhof des Jahres“. Einmal da, waren sich die Tester aus allen Teilen Deutschlands aber einig: Der Hauptbahnhof in Dresden ist 2014 das Maß aller Dinge. In der Kategorie „Kleinstadtbahnhof“ überzeugt das hessische Hünfeld.

Der Dresdner Hauptbahnhof

Die Tester der "Allianz pro Schiene" haben den Dresdner Hauptbahnhof in der Kategorie der Großstadtbahnhöfe ausgezeichnet.
Die Tester der "Allianz pro Schiene" haben den Dresdner Hauptbahnhof in der Kategorie der Großstadtbahnhöfe ausgezeichnet.
Den Dresdner Bahnhof nannten die Juroren ein „Schmuckstück“.
Den Dresdner Bahnhof nannten die Juroren ein „Schmuckstück“.
Ihm gelinge der Spagat zwischen dem Prunk vergangener Epochen und modernen Ansprüchen an Funktionalität.
Ihm gelinge der Spagat zwischen dem Prunk vergangener Epochen und modernen Ansprüchen an Funktionalität.
Der Dresdner Hauptbahnhof wurde 1898 vollendet und im Zweiten Weltkrieg zerstört. 1951 begann der Wiederaufbau.
Der Dresdner Hauptbahnhof wurde 1898 vollendet und im Zweiten Weltkrieg zerstört. 1951 begann der Wiederaufbau.
Nach der Wiedervereinigung bekam der britische Stararchitekt Norman Foster den Auftrag zur Neugestaltung - er hatte auch den Berliner Reichstag umgebaut.
Nach der Wiedervereinigung bekam der britische Stararchitekt Norman Foster den Auftrag zur Neugestaltung - er hatte auch den Berliner Reichstag umgebaut.
Der Bahnhof erhielt ein Membrandach, die Kuppel wurde verglast.
Der Bahnhof erhielt ein Membrandach, die Kuppel wurde verglast.
Inzwischen hat er 43 Läden, Cafés und Restaurants.
Inzwischen hat er 43 Läden, Cafés und Restaurants.

Damit steht bei der elften Auflage des Wettbewerbs zum zweiten Mal eine sächsische Adresse ganz oben. 2011 hatte Leipzigs Hauptbahnhof den Titel in den Freistaat geholt. Bad Schandau gewann 2012 einen Sonderpreis als Touristenstation.

Dresdens Tor zur Stadt sei „Denkmal einer lichten beschwingten Leichtigkeit“, „ein Bahnhof zum Genießen“, heißt es im Jury-Urteil. Er sei deutschlandweit Vorreiter: „Kein anderer kombiniert Insel- und Kopfbahnhof auf zwei Etagen.“ Das denkmalgeschützte Sandstein-Ensemble sei auch ein Schmuckstück und vereine wie selbstverständlich „den Prunk vergangener Tage mit unseren Ansprüchen an moderne und funktionale Eleganz. So viel Licht, so viel Luft!“, so die Begründung, die auch das „fröhlich-hilfsbereite Personal“ lobt.

Stifter des Preises ist die Allianz pro Schiene, ein Bündnis von 20 Non-Profit-Organisationen: darunter Umwelt-, Eisenbahn- und Verbraucherverbände, Automobil- und Fahrradclubs, Bahngewerkschaften, Eisenbahnverbände, die technische Hochschule Wildau und die Konferenz für kirchliche Bahnhofsmission mit zusammen mehr als 2,5 Millionen Mitgliedern.

Übergroß hingen Werbeplakate von der Decke: Semperoper, Zwinger, Frauenkirche, beschreibt die Jury ihre Eindrücke. „Sollen doch andere Bahnhöfe ihre Reisenden mit mega-bunter Werbung anplärren, in Dresden stellt man lieber die eigene Stadt zur Schau.“ Die Ruhe und Würde jener Eigenwerbung stecke die Reisenden an, lasse Hektik erst gar nicht aufkommen.

Anbindung bleibt außen vor

Bahnhofsmanager Joachim Täubert hingegen ist erregt. „Das ist super“, freut er sich nach der gestrigen Preisvergabe. „Das ist der Lohn für alle, die mitgearbeitet haben – und Anerkennung für die Bevölkerung, die über Jahre viel erdulden musste“, so der Chef von 87 Beschäftigten der Deutschen Bahn. Bis auf die Tiefgleise sei nun alles fertig. Täubert hat auch eine Idee, wo die Messingtafel mit dem Titel hin soll: „An den Haupteingang mit der Figurengruppe Saxonia“. Es ist nicht die erste Tafel am Gemäuer im Neorenaissancestil. Anderswo wird von gewaltlosen Protesten erzählt, die 1989 das Ende der DDR forcierten, von der Flut 2002, vom Wiederaufbau.

Wenn Steine reden könnten. Die Station mit 15 Bahnsteigen ist der zentrale Punkt des Bahnknotens Dresden. Sie verknüpft die Schienenwege nach Prag/Budapest/Wien mit den Strecken Richtung Hof/Nürnberg, Leipzig/Frankfurt am Main, Berlin/Hamburg und Görlitz/Breslau/Liberec. Dresdens größter Personenbahnhof war in seiner heutigen Form Ende des 19. Jahrhunderts entstanden, sein Vorgänger, der „Böhmische Bahnhof“, schon 1848 als Anfangs- und Endpunkt der Verbindung mit Pirna. Baukosten damals: 18 Millionen Mark, umgerechnet 320 Millionen Euro.

Der Hauptbahnhof erlebte Truppen- und Gefangenentransporte in den Kriegen, Zerstörung 1945, Wiederaufbau- und einfache Restaurierung in den 50er-Jahren, die Elektrifizierung in den 70ern, 1988 den Denkmalschutz, ein Jahr später die Züge mit DDR-Flüchtlingen aus der bundesdeutschen Prager Botschaft gen Westen. Die Station kennt die britische Königin Elizabeth II. ebenso wie Vandalen von Rechtsaußen und als falsche Dynamo-Fans. Und ungebetenen Besuch, als 2002 mitten in der Sanierung die Weißeritz vorbeischaute. Gut einen Meter stand die Flut auf den Gleisen. Das Wasser ging, der Schaden von 42 Millionen Euro blieb. Die Modernisierung nach Plänen von Stararchitekt Sir Norman Foster verschlang fast 140 Millionen Euro, zwei Drittel davon allein das teflonbeschichtete Glasfaser-Dach.

Kritiker monieren die voreilige Eröffnung mit viel Trara 2006. „Wenn die Infrastruktur nicht steht“, ist das Verarschung“, schimpft Volker Linke von der Bahngewerkschaft EVG. Erst danach seien die Gleise in der Südhalle erneuert, Königspavillon und Nordfassade saniert worden. Noch immer versprühten die Kopfbahnsteige DDR-Charme, gebe es zu den Fernbahnsteigen weder Gepäckbänder noch Rolltreppen, sondern nur einen Fahrstuhl.

Dirk Flege, Chef der Allianz pro Schiene, stört das nicht – wie auch der Umstand, dass der Top-Bahnhof immer schlechter an den Fernverkehr angebunden ist. „Den perfekten Bahnhof gibt es nicht“, sagt Flege. Die Strecke Dresden–Berlin sei „eine Katastrophe“. Aber das Dilemma habe es auch 2010 gegeben, als Darmstadt geehrt wurde. Die Anbindung werde ausgeblendet. Flege: „Wenn wir damit anfangen, können wir bald gar keinen Bahnhof mehr ehren.“