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Unterschied zwischen Stadt und Land wird größer

In Leipzig wächst die Beschäftigung am stärksten. Arbeitsagentur-Chef Hansen hat neue Sorgen um die Lausitz.

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Von Georg Moeritz

Es gibt immer mehr zu tun in Sachsen: Voriges Jahr sind 31 000 neue Arbeitsplätze mit Sozialversicherung entstanden. Das neue Jahr dürfte noch einmal über 25 000 Stellen bringen, sagte am Mittwoch Klaus-Peter Hansen, Chef der sächsischen Agenturen für Arbeit. Doch der Zuwachs wird nicht jahrelang so weitergehen, sagte Hansen bei seinem Jahrespressegespräch voraus. Weil die Bevölkerungszahl schrumpft, lassen sich zunehmend nicht mehr alle Arbeitsplätze besetzen. Derzeit sei Leipzig „unsere Boomregion“, sagte Hansen. Jede vierte neue Stelle, die den sächsischen Arbeitsagenturen gemeldet wird, ist in der Stadt Leipzig zu besetzen.

Zuwachs erwartet: In Leipzig wächst die Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter innerhalb von zehn Jahren um 6,2 Prozent, sagt die Arbeitsagentur voraus. Für Dresden erwartet sie 4,7 Prozent Plus.
Zuwachs erwartet: In Leipzig wächst die Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter innerhalb von zehn Jahren um 6,2 Prozent, sagt die Arbeitsagentur voraus. Für Dresden erwartet sie 4,7 Prozent Plus. © Katrin May/ddp images
Schrumpfen erwartet: Im Erzgebirgskreis um die abgebildete Stadt Annaberg-Buchholz wird die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter zwischen 2015 und 2025 um 19,3 Prozent kleiner, im Kreis Görlitz um 17,5 Prozent.
Schrumpfen erwartet: Im Erzgebirgskreis um die abgebildete Stadt Annaberg-Buchholz wird die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter zwischen 2015 und 2025 um 19,3 Prozent kleiner, im Kreis Görlitz um 17,5 Prozent. © André März

Leipzig hat auch den größten Zuzug, allerdings ist die Arbeitslosenquote dort weiterhin höher als in Dresden. Voriges Jahr wuchs die Beschäftigung in Leipzig um 2,5 Prozent, in Dresden um zwei Prozent. Selbst Zwickau auf dem letzten Platz beim Zuwachs in Sachsen meldete noch 0,9 Prozent mehr sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze. Das Wachstum der beiden Halbmillionenstädte in Sachsen lässt den Unterschied zu den ländlichen Regionen immer größer werden. In Hansens Prognose steht, dass die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter im Erzgebirgskreis innerhalb von zehn Jahren um 19,3 Prozent schrumpfen wird – während sie in Leipzig um 6,2 Prozent wächst. Für Dresden sind 4,7 Prozent Zuwachs im Zeitraum 2015 bis 2025 vorausgesagt, dagegen 17,5 Prozent Schrumpfung für den Kreis Görlitz, gut 15 Prozent für die Kreise Mittelsachsen und Bautzen, 9,4 Prozent weniger im Kreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge.

Hansen hofft auf Zuwanderung und meint damit auch Rückkehrer: Die „erste Erbengeneration“ in den neuen Ländern interessiere sich zunehmend wieder für die Heimat, sagt der Behördenchef. Das zeige sich auf den Rückkehrerbörsen nach Weihnachten, bei denen sächsische Unternehmen sich weggezogenen Sachsen auf Heimaturlaub vorgestellt haben. Christine Westphal hat sich dort umgesehen, die Leiterin des Jobcenters im Kreis Nordsachsen. Nach ihrem Eindruck sind Rückkehrer teilweise bereit, „ein bisschen weniger Verdienst“ in Sachsen in Kauf zu nehmen – wenn andere Bedingungen stimmen. Sie interessieren sich auch für Grundstückspreise und Kinderbetreuung.

Die Nachricht vom Insolvenzverfahren bei WBN Waggonbau Niesky macht dem gebürtigen Zittauer Hansen allerdings neue Sorgen um seine Heimatregion. Es mache ihn traurig, dass von den wenigen industriellen Kernen in der Oberlausitz mehrere in Gefahr seien – darunter der Siemens-Turbinenbau in Görlitz und Stellen im Görlitzer Waggonbau. Allerdings liege die Arbeitslosenquote in der Lausitz nicht mehr bei 25 Prozent. Wer heute arbeitslos werde, werde „nicht mehr in dieselbe Trost- und Hoffnungslosigkeit entlassen“ wie in den 90er-Jahren. Damals musste Hansen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) wie etwa im Findlingspark Nochten mit organisieren und Menschen „von einer ABM in die nächste“ schicken, „um den sozialen Frieden zu wahren“.

Im Waggonbau in Niesky wird die Arbeitsagentur nun Insolvenzgeld für die rund 300 Beschäftigten zahlen. Die rund 100 Leiharbeiter aber sind bei ihren Verleihfirmen angestellt und werden nicht vom Amt bezahlt. WBN-Geschäftsführer Eduard Janßen sagte der SZ, für die Leiharbeiter gebe es weiterhin Arbeit im Betrieb, „wenn die Auftragslage so bleibt“. Wenn sie sich aber dramatisch verschlechtere, müsse bei der Leiharbeit abgebaut werden.

Die Arbeitslosigkeit in Sachsen insgesamt ist laut Hansen voriges Jahr stärker gesunken als vorhergesagt. Das Jahr sei gut gewesen, 2018 werde noch besser, sagte der Agenturchef. Die Bereitschaft der Wirtschaft zum Einstellen wachse. Rund 38 000 Angebote sind den Arbeitsagenturen bekannt. Davon kommen 12 000 von Leiharbeitsfirmen, 5 000 direkt aus der Industrie, 3 500 aus dem Gesundheits- und Sozialwesen. Arbeitslos gemeldet sind nun 129 683 Menschen, weitere rund 50 000 Sachsen werden vorübergehend wegen Schulungen oder Krankheit nicht mitgezählt.