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Unternehmern platzt der Kragen

Mit einer Anzeige drängen sie auf Steuersenkungen in Görlitz. Darunter auch der Chef einer Recycling-Firma.

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© Pawel Sosnowski

Von Daniela Pfeiffer

Görlitz. Die Wirtschaft kommt zu kurz. Das Gefühl haben Görlitzer Unternehmer nicht erst seit gestern. „In der Stadtpolitik liegt der Schwerpunkt jenseits der Wirtschaft“, glaubt Heinz R. Schnettler. Er führt im Gewerbegebiet Hagenwerder die Firma Pla.to. Hier werden Recyclingmaschinen gebaut, die in alle Welt gehen. Vor sieben Jahren kam Schnettler von Bonn dafür her, mit Frau und Kindern.

Die hohen Gewerbesteuern hat er in Kauf genommen, zumal seit 2012 zumindest zu hoffen war, dass sie wieder gesenkt werden. Damals beschloss das der Stadtrat im Rahmen des Integrierten Stadtentwicklungs-Konzepts. Aber nichts hat sich seitdem getan. Görlitzer Unternehmer zahlen immer noch deutlich mehr als andere. Mit 450 Punkten liegt die Stadt bei der Gewerbesteuer weit über dem Landesdurchschnitt. Und das sehen die Unternehmer nicht mehr ein. Gespräche mit allen Fraktionen des Stadtrates, mit dem OB, seinem Stellvertreter, der IHK, den Wirtschaftsjunioren hat es zu dem Thema gegeben. Doch im aktuellen Haushaltsentwurf – nichts, was auf Steuersenkung hindeutet. An diesem Donnerstag stellt OB Siegfried Deinige ihn im Stadtrat vor. „Wenn er dann erst mal so verabschiedet wird, sind aus unserer Sicht wieder für zwei Jahre die Messen gelesen“, sagt Schnettler. Mehr noch: Selbst für den nächsten Haushalt – und damit bis 2021 – sind Steuersenkungen nicht in Aussicht gestellt.

Als Mitglied des Allgemeinen Unternehmerverbandes Görlitz (AUV) hat Schnettler deshalb geholfen, eine Aktion auf die Beine zu stellen, die die Öffentlichkeit – vor allem aber die Stadträte – noch mal wachrütteln soll. Mit einer ganzseitigen Anzeige machten die Unternehmer am Sonnabend in der Sächsischen Zeitung auf ihr Anliegen und ihre Forderungen aufmerksam. Innerhalb einer Woche sind 26 Unterzeichner zusammengekommen – ein bunter Mix aus Dienstleistern und Industrie, alles Gewerbesteuerzahler. „Es hätten doppelt und dreifach so viele sein können, wenn die Zeit nicht so knapp gewesen wäre“, sagt Heinz R. Schnettler. „Aber wir wollten das unbedingt noch vor dem Stadtrat bringen.“ Dass es „noch unentschlossene Stadträte zu einem Umdenken motiviert“, wie in der Anzeige formuliert, können die Unternehmer nur hoffen. „Aber es fehlt eben leider der Blick für die Wirtschaft“, sagt Schnettler. „Vielleicht liegt es an der Zusammensetzung des Stadtrates: Da haben wir mehr Kulturbeflissene als Wirtschaftsleute, die sich engagieren.“ Dieses Vakuum möchten die Unternehmer ausfüllen. „Dabei geht es uns aber nicht nur um die Senkung von Gewerbe- und Grundsteuer, sondern wir haben den gesamtwirtschaftlichen Blick.“

So finden sich in der Anzeige vom Sonnabend auch acht konkrete Forderungen. Die weist Bürgermeister Michael Wieler fast alle zurück – obwohl er betont, dass die Dinge inhaltlich „grundsätzlich alle richtig“ seien. Trotzdem findet er, dass die meisten der Forderungen von der Stadt bereits bearbeitet werden, teilweise seit Längerem. Ein neuer Flächennutzungsplan etwa. Dazu seien im vorhergehenden Haushalt weit über 100000 Euro gewesen, und das Vorhaben werde in den nächsten zwei, drei Jahren auch abgeschlossen sein. Aber es sei eben eine Mammutaufgabe.

Zur Unternehmer-Forderung, bessere Standortentwicklung und Flächenerwerb an neuralgischen Punkten wie bei den Tagesanlagen am Berzdorfer See oder beim Schlachthof zu betreiben, sagt der Bürgermeister: „Da sind wir intensiv dran.“ Er verweist auf die Seebeauftragte, die die Stadt extra eingestellt hat, was schon Erfolge zeige. „Bei den Tagesanlagen sind wir ebenfalls dabei. Wir hoffen, dass der Knoten dort allmählich platzt.“ Mit dem Schlachthof sei das so eine Sache. Es gibt Wieler zufolge schon Ideen und Angebote, aber das Richtige war noch nicht dabei. „Wir wollen dort keine Wohnbebauung und auch nicht den nächsten Nahversorger.“

Das Hauptanliegen der Unternehmer aber – Steuersenkungen – weist Wieler den Stadträten zu. „Dazu werden sich die Fraktionen äußern.“ Er selbst hat den Unternehmern gegenüber aber gesagt, dass er zurzeit keinen Spielraum sehe, die Steuern zu senken. Rolf Weidle von den Bürgern für Görlitz, deren Vereinsvorsitzender Michael Wieler ist, hatte zuletzt mit Verweis auf die angespannte Haushaltslage angedeutet, dass sie ebenso denken. Bei den Stadtratsfraktionen ist am ehesten von der CDU zu erwarten, dass sie der Wirtschaft in dieser Frage vielleicht entgegenkommt.

Gerhard Schoch, der im Gewerbegebiet am Flugplatz sein Unternehmen für Druckgießtechnik führt und in der Stadt auch in Häuser investiert, platzt der Kragen, wenn es auf das Thema Steuern kommt. Er habe deshalb nicht lange überlegen müssen, bei der Anzeige in der SZ zu unterzeichnen. 30000 bis 40000 Euro zahle er pro Jahr an Gewerbesteuer. „Aus welchem Grund entscheidet die Stadt, dass wir mehr bezahlen müssen als andere?“ Görlitz habe es versäumt, zuerst für Arbeitsplätze zu sorgen – und zwar durch attraktive Bedingungen für Investoren. Erst dann sei Kaufkraft da und dann könne man in den Handel investieren. „Aber so wie es momentan ist, ist die Höhe unserer Hebesätze pure Ironie.“