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Letzte Ruhe unter Eichen und Buchen

Viele Bäume sind schon reserviert, die ersten Urnen im Wald begraben. Der Andrang bleibt groß.

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© Norbert Millauer

Von Peggy Zill

Coswig. Es gab schon Leute, die in Stöckelschuhen zur Waldführung gekommen sind. Sylvia Jordan schaut zufrieden in die Runde. Die heutigen Teilnehmer sind mit bequemen Schuhwerk, Schirmen und Outdoorjacken bestens ausgerüstet. Es ist die vierte und letzte Führung des Tages. Seit Eröffnung des Bestattungswaldes Ende September sind so mindestens 600 Leute durch den Friedwald spaziert.

Unter der Holzscheibe ist ein frisches Grab ausgehoben. Mindestens 60 Zentimeter tief liegen die Urnen.
Unter der Holzscheibe ist ein frisches Grab ausgehoben. Mindestens 60 Zentimeter tief liegen die Urnen. © Norbert Millauer
So sehen die Namenstafeln aus, die, wenn gewünscht, an den Bäumen angebracht werden.
So sehen die Namenstafeln aus, die, wenn gewünscht, an den Bäumen angebracht werden. © Arno Burgi / dpa

Die Trauerrednerin wird schon vor der Begrüßung gelöchert, als dürfte keine Zeit verloren gehen bei der Suche nach dem perfekten Baum: Was ist ein Wahlbaum? Was kostet es und kann man heute schon buchen? Es sind zwei Gruppen von Menschen, die sich für eine Beisetzung im Wald entscheiden, hat Sylvia Jordan beobachtet: „Die, die vorab alles regeln wollen, da mit sie bloß keine Arbeit und Kosten verursachen, wenn sie gestorben sind. Und die Naturverbundenen, die sich ganz bewusst für den Wald entscheiden.“

Nun beginnt der kleine Spaziergang durch den Friedwald. Acht Paare, die meisten schon ergraut, folgen Jordan in Zweierreihen. Gesprochen wird nur leise. „Wir waren schon vor Jahren dafür, dass der Bestattungswald kommt“, erzählen Erhard und Renate Reck aus Radebeul. Aber damals lehnte die Stadt Coswig es ab.

Nun ist die Nachfrage nach der letzten Ruhestätte unter der Baumwurzel viel größer als erwartet. Von 401 Bäumen, die zum ersten, drei Hektar großen Quartier gehören, sind zehn Prozent der Wahlbäume und zahlreiche Urnenplätze an Gemeinschaftsbäumen schon reserviert. Insgesamt kann der Bestattungswald auf 40 Hektar erweitert werden. Zehn Beisetzungen in Natururnen gab es bereits, darunter vier Umbettungen.

„Mutter Natur ist nun mal das Beste“, sagt eine Frau aus Coswig. Mit ihrem Mann will sie sich am liebsten gleich heute einen Baum aussuchen. Die Zeit sei schließlich schnelllebig.

Auch das Ehepaar Reck will sich schon jetzt für einen Baum entscheiden. „Da können wir ihn noch lange besuchen“, sagt der 73-Jährige. Denn das Paar wohnt ganz in der Nähe, kann in den Friedwald spazieren und geht mit dem Thema Bestattung sehr entspannt um. „Wir brauchen keinen Friedhof zum Trauern“, so Renate Reck. „Wir behalten die Menschen anders in Erinnerung“, erklärt die 69-Jährige, weshalb sie eine Bestattung im Wald bevorzugt. Und sie wollen auch keinen Baum exklusiv für sich allein. Mit „Nachbarn“ sei es doch lustiger, schmunzelt Renate Reck.

Ein Urnenplatz am Gemeinschaftsbaum, wo bis zu zwölf Menschen bestattet werden können, kostet 450 Euro. Teurer sind Partner-, Familien- oder Freundschaftsbäume. Je nach Lage und Größe liegen die Preise für einen Baum zwischen 2 800 Euro und 8 800 Euro – mehrere Grabplätze inklusive. Laufende Kosten gibt es keine. Und niemand muss sich um die Grabpflege kümmern. Ein großer Vorteil, wie Renate Reck findet. Denn sie muss sich um ein Grab kümmern, das für einen wöchentlichen Besuch zu weit weg ist. „Und auf dem Dorf schaut auch noch jeder, wie gepflegt die Gräber sind.“ Den eigenen Kindern wolle sie das nicht zumuten. Im Wald übernimmt die Natur die Grabpflege. Man darf zwar einzelne Blümchen ablegen, große Gränze oder Grabschmuck sind jedoch verboten.

Die Gruppe ist auf dem Andachtsplatz angekommen. Das Herzstück des Bestattungswaldes. Am Pult aus Sandstein steht bei der Abschiedsfeier die Rednerin. Im Winter kann auch auf das beheizte Zelt am Parkplatz ausgewichen werden. Ein Mann, der schon ganz genaue Vorstellungen hat, will wissen, ob man auf die Trauerfeier im Wald nicht auch verzichten könne, wenn es bereits eine im Krematorium gab. Das geht. Nur eine stille Beisetzung empfiehlt Sylvia Jordan nicht. „Jedes Leben war der Rede wert“, lautet ihr Motto. Auch wenn es nur wenige Worte sind.

Nur robuste Buchen, Kastanien und Eichen kommen für Bestattungen infrage. Man kann allerdings auch selbst einen Baum pflanzen. Möglich sind alle heimischen Gehölze. „Eine Palme nicht“, so Jordan. Im Vorfeld ist jeder Baum beurteilt und vermessen worden, gegen höhere Gewalt wie Sturm und Feuer sei man jedoch machtlos. „Das ist das Restrisiko“, so Jordan. Das Risiko, dass es in ein paar Jahren keine Bestattungen mehr gibt, weil die Naturruhe Friedewald GmbH pleite ist, bestehe jedoch nicht. Denn die Stadt Coswig würde in diesem Fall die Beisetzungen übernehmen.

Jordan führt die Gruppe wieder zurück Richtung Parkplatz. Zwischendurch drehen Jogger ihre Runden im Wald. Jordan stoppt an einer Buche, unter der am Vortag ein Mann beigesetzt wurde. Darüber liegen Zweige und ein kleiner Blumenstrauß. Das Grab daneben ist unter dem Laub schon gar nicht mehr zu erkennen.

„Jede Feier wird individuell gestaltet“, betont Sylvia Jordan. Es kann eine Kutsche bestellt werden, die Rede hält sie oder auch ein Pfarrer, die Musik kommt aus der Anlage oder von einem Trompeter. Die Beisetzungen sind auch am Wochenende möglich.

Eine Frau und ein junger Mann stehen etwas abseits vom Weg vor einem frischen Grab. Ein junges Mädchen wurde hier vor einer Woche beigesetzt. Die Zeremonie fand abends statt. Auf dem gesamten Weg zum Urnenplatz standen leuchtende Lampions und auch die Hinterbliebenen trugen Kerzen. „Das war wirklich sehr schön“, so Jordan. Heute markieren nur noch ein Herz aus Moos und ein kleines Blümchen die Stelle.