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Unter Dampf

Das Heizkraftwerk in Merzdorf verknüpft zwei Industriebetriebe. Davon haben auch die Mieter nebenan etwas.

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© Sebastian Schultz

Von Christoph Scharf

Riesa. Die Wiese ist mit Reif bedeckt, vor dem Mund bilden sich schon Wölkchen: Langsam wird es Winter in Riesa. Das ist doch Wunschwetter für einen, der ein Heizkraftwerk betreibt, oder? „Das stimmt schon“, sagt André Süßmilch von den Stadtwerken. „Aber unser Heizkraftwerk in Merzdorf ist im Sommer genauso wie im Winter gefragt.“ Was man von außen nur erahnen kann: Die Mitte der 90er in Betrieb gegangene Anlage kann seit gut drei Jahren viel mehr als die anderen vier Heizkraftwerke in Riesa – und die meisten ähnlichen Anlagen anderswo: Hier in Merzdorf landet über eine lange, glänzende Rohrtrasse heißer Dampf aus dem Stahlwerk von Feralpi, das rund einen Kilometer Luftlinie von der Hamburger Straße entfernt ist. Dort wird bei gut 1 600 Grad Schrott geschmolzen, um zu neuem Stahl zu werden. Dort fällt so viel Wärme an, dass man quasi kaum weiß, wohin damit. Deshalb hat man sich in Riesa zu einer Kooperation entschlossen, die Feralpi und der Stadt schon zwei Umweltpreise eingebracht hat: Das Wasser geht als unter einem Druck von 26 Bar stehender, rund 240 Grad heißer Dampf auf die Reise zum Heizkraftwerk Merzdorf – das von hier aus das benachbarte Reifenwerk mit heißem Dampf versorgt: Dort kann man Hitze und Energie bestens gebrauchen, um jährlich rund fünfeinhalb Millionen Autoreifen herzustellen.

Aber wofür braucht man überhaupt die Stadtwerke mit ihrem Heizkraftwerk? Wäre eine Dampftrasse direkt vom Stahl- zum Reifenwerk nicht einfacher? Warum das nicht geht, zeigt ein Blick in das Heizkraftwerk – ein Raum, fast so groß wie eine Turnhalle, von unten bis oben mit Technik vollgestopft. Durch eine verglaste Wand behalten ihn die Turbinenmaschinisten in der Warte im Blick, die im ersten Stock untergebracht ist. „Die ist täglich rund um die Uhr besetzt“, sagt Abteilungsleiter Steffen Krechlak. Rund zehn Männer arbeiten hier im Dreischichtsystem – und behalten dabei nicht nur acht Monitore mit bunten Schaltdiagrammen und Bildern von Überwachungskameras im Blick, sondern vor allem auch eine kleine Ampel: Ist sie grün, ist alles gut. „Dann liefert das Stahlwerk den Dampf in voller Menge“, sagt Krechlak.

Dennoch ist von unten das dumpfe Wummern der Turbine zu hören, die ununterbrochen das eingekaufte Erdgas in Strom und Wärme verwandelt. Der vom Stahlwerk gelieferte Dampf reicht wohl nicht? „Wir müssen die Turbine immer laufenlassen, um auf kurzfristige Ausfälle sehr schnell reagieren zu können“, sagt der Riesaer. Denn einmal pro Woche stoppt die Produktion im Stahlwerk wegen einer Wartung ganz regulär. Dazu kommen aber auch noch kurzfristige, nicht vorher planbare Schwankungen. So wie jetzt: Dann springt im Heizkraftwerk die Ampel auf Gelb – und die Turbine erhöht ihre Leistung, damit das Reifenwerk nebenan verlässlich den nötigen Heißdampf erhält.

Nun springt auch noch ein zusätzlicher Heizkessel an, von denen es in Merzdorf gleich zwei gibt – damit kann kurzfristig noch mehr Wärme erzeugt werden, wenn es mit dem Dampf knapp wird. Auch diese Kessel müssen durchgehend warm gehalten werden, um quasi auf Knopfdruck Leistung liefern zu können. „Das Heizkraftwerk Merzdorf ist eine hochkomplexe Anlage“, sagt André Süßmilch, Bereichsleiter Energieerzeugung und Vertrieb bei den Stadtwerken. Denn die Anlage ist nicht nur für die Kooperation von Stahl- und Reifenwerk unersetzlich, sondern auch für die Versorgung eines ganzen Stadtteils mit Fernwärme: Zahlreiche Wohnblocks an der Seelenbinder-, Steyer-, Harbigstraße werden von hier beheizt, ein Kindergarten, der neue Norma. „60 Prozent der Energie für die Fernwärme gewinnen wir aus der Abwärme der Turbine“, sagt Krechlak.

Preisgekrönte Kooperation

Die Immobilieneigentümer profitieren dabei auch von der preisgekrönten Kooperation der Stadtwerke mit den Industrieunternehmen: Denn die ökologisch sinnvolle Energieerzeugung durch die Dampftrasse und die Kraft-Wärme-Kopplung honoriert der Gesetzgeber: Vermieter, die ihr Gebäude mit solcher Wärme beheizen, bekommen weniger Auflagen, wenn sie ihr Gebäude modernisieren wollen. Das spart Kosten – und kommt so am Ende auch den Mietern zugute. Da dreht man die Heizung bei den Temperaturen gleich viel lieber auf.