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„Unsere Heimat ist jetzt hier“

Vor 21 Monaten kommen ein Syrer und seine Familie in Nossen an. Als einzige Flüchtlingsfamilie sind sie hier geblieben. Bereut haben sie es nie.

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© Claudia Hübschmann

Von Marcus Herrmann

Krieg, Leid, Hunger, Angst um das eigene Leben. Für die kleine Maria, ein Jahr und neun Monate alt, sind diese Worte nicht mit eigenen Empfindungen verbunden. „Zum Glück, dafür sind wir sehr dankbar“, sagt ihr Vater Abdul Baset Al Sharmi. Maria ist gerade erst wenige Wochen alt, da kommt die Familie – neben Abdul sind das seine Partnerin Rukaya sowie die Kinder Zina, Aref, Shahed und eben Maria – in einer Wohnung am Nossener Stadtrand unter.

Freunde aus dem Nachbarort verschaffen den Syrern die knapp 70 Quadratmeter-Bleibe. „In Deutschland sind wir schon seit zweieinhalb Jahren“, sagt der 44-jährige Familienvater. Bei einer Tasse schwarzen Tees erzählt er von der Flucht aus der Heimat, wo er als Vorarbeiter im Glasbau tätig war. Weil es in dem Haus der Familie in einem vorwiegend von sunnitischen Muslimen bewohnten Gebiet Ende 2014 immer bedrohlicher für Leib und Leben wird, flieht er mit seiner heute 31-jährigen Lebensgefährtin und den Kindern aus dem von Krieg heimgesuchten Land. Über Libyen, Italien und Österreich kommen sie zunächst in ein Flüchtlingslager nach Bayern, später nach Chemnitz und letztlich in die Muldenstadt.

Hier kümmert sich Rukaya derzeit um den Haushalt und die kleine Maria. Am Nachmittag kommt die älteste Tochter Shahed nach Hause. Sie geht in Nossen an die Pestalozzi-Grundschule. Bereits kurz nach dem Mittagessen holt Abdul Al Sharmi täglich den sechsjährigen Sohn Aref und die zwei Jahre jüngere Tochter Zina vom Kindergarten an der Bismarckstraße ab. Dann fährt er zum Sprachkurs an die Euro-Schule nach Meißen – täglich von Montag bis Freitag. „Größere Strecken fahre ich mit dem Bus. Zum Einkaufen in Nossen nehme ich auch mal das Fahrrad meiner ältesten Tochter“, sagt Al Sharmi in fast akzentfreiem Deutsch. Die täglichen Sprachkurse 13.30 Uhr und 16 Uhr helfen ihm bei der Verständigung.

Wenn er Mitte Juli fertig ist und seine zweite Tochter in die Schule kommt, soll auch Rukaya anfangen, deutsch zu lernen. „Ich selbst möchte dann Arbeit finden, am liebsten in der Glasverarbeitung“, so Al Sharmi. Bei der Nossener Firma Scholl-Glas könnte es was werden. Es habe bereits erste Gespräche gegeben. Bei allem, was die Familie tut – vom Fußballtraining des Sohnes beim SV Deutschenbora bis hin zum Gang zum Jobcenter – stehen ihnen Freunde aus Nossen bei. „Anja und Andreas helfen uns, seitdem wir hier sind. Sie sind sehr gut zu uns“, sagt der Syrer und meint die Eulaer Anja und Andreas Einbock.

Man sehe sich täglich, erzählt Abdul. Die Hilfe sei nicht selbstverständlich. Neben der engen Beziehung zu der Nossener Familie leben die sechs Syrer eher zurückgezogen. Mit den beiden Nachbarn in dem alten Haus am Deutschenboraer Bahnhof wechselt man ein paar Worte, mehr nicht. „In Meißen habe ich Kontakt zu zwei anderen Syrern. Das reicht“, sagt der Familienvater. Obwohl er in der Heimat noch Geschwister hat, wolle er nicht zurück.

„In Syrien wurden viele Gräueltaten verübt. Und es wird noch lange so bleiben. Das ist nicht mehr mein Land“, erzählt der 44-Jährige ernst. Mit seiner Familie will er gerne in Nossen bleiben. Hier sei es ruhig. Und friedlich. Abdul Al Sharmi und Rukaya, vor allem ihre vier Kinder, sind die einzigen Flüchtlinge, die nach der ersten großen Welle nach Deutschland 2015 in Nossen geblieben sind. Sie sind anerkannt, haben einen deutschen Pass.

„Unsere Heimat ist jetzt hier“, sagt Abdul. Maria spielt derweil am Kopftuch ihrer Mutter. Was Krieg, Angst und Leid sind, wird sie hoffentlich nie erfahren müssen.