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Unser Mann im Schloss Bellevue

Ein Görlitzer reist zum Abschied von Bundespräsident Gauck. Er kann nur vermuten, wie es zu der Ehre kam.

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© Stefan Schumann

Von Ralph Schermann

Fast wäre es passiert. Fast hätte Harry Steinert den Umschlag mit dem Bundesadler in den Papierkorb geworfen. Wieder Werbung für irgendwelche Münzen, dachte er, stutzte dann aber doch: Etwas an diesem Kuvert wirkte edler.

Für Bundespräsident Gauck (links) ist das Ehrenamt wichtig. Das machte er auch 2016 in Görlitz deutlich, als er dem Verein Second Attempt einen Besuch abstattete.
Für Bundespräsident Gauck (links) ist das Ehrenamt wichtig. Das machte er auch 2016 in Görlitz deutlich, als er dem Verein Second Attempt einen Besuch abstattete. © Wolfgang Wittchen

Der Inhalt erst recht. Auf feinstem Karton mit Goldprägung stand da, was das Bundespräsidialamt von Harry Steinert will. Der 58-Jährige möge am 17. März ins Schloss Bellevue kommen. Er ist eingeladen, dabei zu sein, wenn Bundespräsident Joachim Gauck den letzten Termin in seinem Kalender abstreicht. Der schwarze Anzug sei dafür geeignet, ein Zimmer im Hotel „Steigenberger Hof“ reserviert, das Fahrtkostenabrechungsblatt schon beigelegt. Eingeladen wird zum Abschieds-Empfang ebenso wie zum anschließenden Großen Zapfenstreich im Park, dem mit Musikkorps und Fackelträgern höchsten militärischen Zeremoniell der Bundeswehr.

Harry Steinert war wie versteinert: „Wie komme ich dazu? Ich, ein kleines Staubkorn aus Rauschwalde?“ Sein bescheidener beruflicher Lebensweg rechtfertigt jedenfalls so eine Einladung ebenso wenig wie irgendein politischer, kultureller oder sportlicher Erfolg. Der gelernte Maschinen- und Anlagenmonteur machte nach der Wende seine Berufung zum Beruf. Per Fernstudium qualifizierte er sich zum Lebensberater/Psychologischen Berater. Nach einigen Jahren verlor er privaten Halt und zeitgleich finanziellen Rückhalt, musste Büro und Beruf aufgeben. „Meine psychologischen Kenntnisse halfen mir, mich selbst wieder aufzurichten, vorn das Licht zu sehen und alles Dunkle zurückzulassen“, sagt er. Seit zwei Jahren vermittelt er solche optimistischen Blicke mit Erfolg in seinem neuen Beruf. Harry Steinert wurde Standwerber für den Regionalverlag Neiße und die Sächsische Zeitung.

Auch das freilich ist kein Achtungszeichen für einen Bundespräsidenten. Vielleicht führte ein Ehrenamt zur Einladung, überlegt der Görlitzer. Immerhin hat ihn ein in der Arbeitsagentur aushängender Handzettel vor rund drei Jahren ins Landratsamt geführt. Dort wurden Mitstreiter für die 1994 gegründete ehrenamtliche Bürgerhilfe des Gesundheitsamtes gesucht. Das sind Freiwillige, die Menschen mit psychischen und psychosomatischen Erkrankungen betreuen, sie im Alltag unterstützen und in schwierigen Situationen begleiten. Dank seiner Ausbildung ist Harry Steinert der richtige Mann dafür. Er wird vom Amt weiter geschult und besucht die an ihn vermittelten Klienten. „Ja, ich spüre, dass ich bei diesen Menschen einiges erreichen kann“, ist der Görlitzer überzeugt. Und nicht nur er: Das Gesundheitsamt schlug ihn 2016 vor, als das sächsische Sozialministerium nach solchen Ehrenamtlichen suchte, die unbedingt eine Auszeichnung verdient hätten. Eine Antwort auf diesen Vorschlag kam nie. Dafür jetzt die große Ehre aus Berlin. Hat man den Vorschlag weitergeleitet? Bestimmt. Jedenfalls lässt das Bundespräsidialamt durchblicken, den Vorschlag aus der Sächsischen Staatskanzlei bekommen zu haben. Und so wird Harry Steinert mit seiner Vermutung wohl durchaus richtig liegen. Zumal der scheidende Bundespräsident die Würdigung des Ehrenamtes ausdrücklich und immer wieder zu betonen wusste.

Andere betonten eine gewisse Umstrittenheit Joachim Gaucks. Lebensberater Steinert sieht gerade das positiv: „Wenn einem alle Wege geebnet werden, dann ist das Amt leicht. Aber wenn es Stürme, unwegsames Gelände und Anfeindungen zu bestehen gilt, wird ein Charakterbild klar.“ Zudem kann Harry Steinert auch sein Engagement im Ehrenamt mit einem Gauck-Zitat begründen: „Die Freiheit der Erwachsenen heißt Verantwortung.“ Dass er auch deshalb auf das Hotelzimmer verzichtet und gleich nach dem Zapfenstreich wieder zurückfährt, ist dagegen eher eine typisch Steinert’sche Bescheidenheit: „Ich will nichts ausnutzen, die Einladung ist schon Ehre und Anerkennung genug.“ Vor allem aber ist es ein Glück, dass der ungewöhnliche Brief nicht zum Papierkorb fand.