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Unrentable Eisdiele

Die Eis-Milch-Bar „Dipp“ ist ein Stück Radebeuler Geschichte. Nun wundern sich viele über geschlossene Jalousien.

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Von Ulrike Keller

Noch immer passiert es an schönen Tagen, recht häufig sogar: Eine Familie mit Großeltern, Kindern, Enkeln spaziert die Hermann-Ilgen-Straße entlang. Oma oder Opa verkündet: „Hier gibt es nämlich eine gute Eisdiele.“ Und wenige Meter weiter setzt das große Wundern ein. Da, wo früher die XXL-Deko-Eistüte von Weitem leuchtete: nichts. Wo das Fenster für den Straßenverkauf offen stand: geschlossene Jalousien. Und auch, wo es ins Eis-Café hineinging: kein Eingang mehr, alles dicht. „Vielleicht ist nur Urlaubsruhe“, rätseln dann meist die Besucher. Kein Schild, kein Hinweis. Fragezeichen.

In den 1980er-Jahren: Heinz Dipp in seiner Eis-Milch-Bar. Bis zur Wende gab es mehrere Sorten Softeis.
In den 1980er-Jahren: Heinz Dipp in seiner Eis-Milch-Bar. Bis zur Wende gab es mehrere Sorten Softeis. © privat

„Daran haben wir gar nicht gedacht“, sagt Heinz Dipp. Er eröffnete die Eis-Milch-Bar Dipp 1980 mit seiner Frau, vergrößerte sie nach der Wende und wohnt bis heute in dem Haus, das seit 1967 sein Eigentum ist. In den letzten elf Eisdiele-Jahren nun führte Enkeltochter Bianka Dipp die Geschäfte. Sie hält sich nur noch gelegentlich in Radebeul auf, war für ein Gespräch kurzfristig nicht zu erreichen. Doch aus den Gründen für die Schließung macht auch ihr Großvater kein Geheimnis: „Es war nicht mehr rentabel“, sagt er.

Zunehmend zum Hauptproblem entwickelte sich dabei die Verkehrs- und Parksituation. Immer mehr Mieter legten sich ein Auto zu. Allein in Dipps Haus stieg die Zahl von zwei auf fünf. Der Parkplatz von der Feuerwehr fiel weg. Im vergangenen Jahr folgten die langwierigen Straßenarbeiten, verbunden mit der monatelangen Sperrung. Und schließlich lasen sie auch noch von den Plänen, als Nächstes die Kötzschenbrodaer Straße aufzureißen. Im Oktober, zum normalen Saisonende, machten sie endgültig zu.

Der Großteil der Inneneinrichtung ist bereits verkauft. Wie die Räume künftig genutzt werden, ist Heinz Dipp zufolge noch offen. Heraushören lässt sich, dass es nach seiner Ansicht auch nicht zwingend eine Gewerbefläche bleiben müsste.

Viele Radebeuler bedauern die Schließung der Traditionseisdiele sehr. Andrea Seifert gehörte seit den 80er-Jahren zur Stammkundschaft. „Unsere ganze Familie ist traurig“, sagt die 63-Jährige. „Die hatten wirklich gutes Eis. Wir haben auch gern gefrostetes Eis gekauft und es mit in den Garten genommen. Das bekomme ich nirgends mehr.“ Für Jeannine Richter, eine junge Mutti, fehlt ohne die Eisdiele in der Hermann-Ilgen-Straße etwas in Radebeul. „Ich habe alles gern gegessen“, erinnert sie sich. „Es war selbst gemacht und frisch. Das hat man geschmeckt.“ Antje Rumberger nahm stets am liebsten die Sorte „Schlumpf“. „Woanders schmeckt es nicht so“, sagt sie. Der größte Einschnitt für sie und ihre Freundinnen aber ist: „Die Eis-Milch-Bar war der Treff von uns jungen Muttis.“ Eine gleichwertige Alternative haben sie bislang nicht gefunden.

„Mich sprechen noch viele an“, erzählt Heinz Dipp. Doch die Stammkunden und das bis zuletzt gut gelaufene Geschäft am Sonnabend und Sonntag reichten nicht aus. „In der Woche war einfach nichts.“ Die Nachfrage nach gefrostetem Eis brach weg. Etwa fünf Jahre schon kamen kaum noch Schüler, trotz der Schulnähe.

Ganz anders in den 80er-Jahren: Die Leute standen Schlange, nicht selten zwei bis drei Häuser die Straße hinunter. Das selbst hergestellte Softeis in verschiedenen Fruchtsorten und Schoko war begehrt, die Eisdiele ein Selbstläufer. Heinz Dipp weiß zig Anekdoten von damals zu erzählen: Etwa zu den Hängeschränken im Hausflur. Die musste er bauen, um 400 Kartons Waffeln bevorraten zu können. „Im Sommer gab es keine. Die gingen an die Ostsee und so weiter.“ Also blieb ihm nur, sich im Winter gut einzudecken. Weshalb die Kunden schon mal feststellten: „Das Eis ist lecker, aber die Waffeln schmecken adlig.“

Das Ehepaar beschäftigte zwei Festangestellte und zwei Aushilfskräfte fürs Wochenende. „Wir haben von der Milchbar gelebt, gut gelebt“, sagt Heinz Dipp. Mit der Wende, gleich 1989, investierten sie in neue Technik und erweiterten die Palette um 15 Sorten Streicheis. „Weil der Markt das brachte“, so Dipp. Nach nur vier Jahren war der Kredit abbezahlt.

Mitte der 90er beschlossen Dipps kürzerzutreten. Im September 1995 gaben sie die Eis-Milch-Bar übergangsweise in die Hände von Gudrun Müller. Als dann Enkeltochter Bianka Dipp ihre Ausbildung zur Hotelfachfrau abgeschlossen hatte, übernahm sie im Mai 2002 die Eisdiele. Und führte alle 15 Sorten plus das Softeis fort. Ganz im Sinne der Großeltern. Doch die Mühe zahlte sich zunehmend weniger aus. „Überlegt haben wir in jedem Fall schon zwei, drei Jahre, ob es sich noch lohnt“, erzählt Heinz Dipp. „Aber mit der Bauerei auf der Straße war dann wirklich Schluss.“