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Ungeliebte Überlebenskünstler

In Dresden werden Tauben wie Aussätzige behandelt, auch wegen des Drecks, den sie machen. Das soll sich nun ändern.

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© René Meinig

Von Sandro Rahrisch

Einen qualvollen Tod erleiden Tauben im Dresdner Hauptbahnhof. Dort hat die Bahn unter dem Glasfaserdach und um die Stahlträger herum Netze angebracht, um Vögel fernzuhalten. Doch an mehreren Stellen sind die Netze gerissen. Tauben verirren sich hinein, finden nicht wieder heraus und verhungern. Auch sonst leben die Vögel in Dresden gefährlich: Gebäudesimse sind mit Spikes gespickt, auf den Gehwegen liegen ausgespuckte Kaugummis, die den Schnabel verkleben, und erst im Juni hat der Stadtrat das Fütterungsverbot auf öffentlichen Straßen, Plätzen und Parks um weitere zehn Jahre verlängert.

Wie viele Stadttauben es in Dresden überhaupt gibt, lässt sich laut Umweltamt nicht einschätzen. Durch Abriss und Sanierung alter DDR-Ruinen sei die Zahl im Vergleich zu den 90er-Jahren aber deutlich zurückgegangen. Für viele Dresdner sind Tauben trotzdem Schädlinge, die Krankheiten übertragen. Ein Irrglaube, sagen Arvid Zickuhr und Sergej Würtz vom Tierschutzverein „Anima“. Im Taubenkot würden sich nicht mehr Erreger befinden als in dem anderer Vögel. Außerdem trat die sogenannte Papageienkrankheit, die bei Menschen eine Lungenentzündung auslösen kann, in den vergangenen 15 Jahren nur viermal in Dresden auf, wie die Zahlen des Robert-Koch-Instituts zeigen. Und nie war der Kontakt zu Stadttauben die Ursache.

Taubenschlag auf Centrum-Galerie

Den beiden Männern geht es nicht nur darum, das Bild von den „Ratten der Lüfte“ geradezurücken. Während die Stadt per Fütterungsverbot versucht, die Taubenpopulation stabil zu halten, setzen sie sich für feste Taubenschläge ein. „Das Fütterungsverbot verschärft das Leid der Tiere, sie werden krank.“ In den Schlägen könnten die Vögel einerseits artgerecht mit Körnern und frischem Wasser gefüttert werden und müssten sich nicht von weggeworfenen Pommesresten ernähren. Damit bleiben sie Bahnhöfen und Fußgängerzonen fern, und auch der Taubenkot auf der Prager Straße wäre kein Thema mehr – Krankheiten hin oder her.

Andererseits ließe sich so die Fortpflanzung kontrollieren. In der Natur brüten Tauben sechsmal im Jahr jeweils zwei Eier aus. Mit Toneiern, die den Vögeln untergeschoben werden, könnte die Population stabil gehalten werden. „Lieber weniger Tauben, die dafür aber ordentlich behandelt werden“, sagen Zickuhr und Würtz. Es sei das Mindeste, was der Mensch tun könnte, der die Haustaube züchtete und sie schließlich sich selbst überließ.

Städte wie Stuttgart, Hamburg und Frankfurt haben bereits Taubenschläge errichtet. Und auch in Dresden gibt es erste Schritte in diese Richtung: So ist auf dem Dach der Centrum-Galerie ein Schlag entstanden, eine Zusammenarbeit zwischen dem Einkaufstempel und dem Dresdner Umweltzentrum. „Das muss man sich wie eine Gartenlaube vorstellen, in der mehrere Regale übereinander angebracht sind“, sagt Umweltzentrum-Geschäftsführer Tom Umbreit. Auf dem Dach der Galerie hätten die Tauben in den letzten Jahren überhandgenommen. Und damit auch der Kot.

„Ein betreuter Taubenschlag ist zu begrüßen, da ein solches Projekt eine tierschutzgerechte Populationskontrolle bei Stadttauben ermöglicht“, sagt eine Sprecherin der Stadtverwaltung und bekennt: „Wir haben in Dresden Tauben, diese gehören zum Stadtbild – wenn es bei einer kleinen, überschaubaren Population bleibt.“

Nach Schätzungen der beiden Tierschützer passen etwa 200 bis 300 Tauben in einen Schlag. Im Dresdner Zentrum wären demnach mindestens fünf nötig. Wenn die Stadtverwaltung kein Geld aufbringen kann, sollten wenigstens Kooperationspartner gefunden werden, die ihre Dachfläche zur Verfügung stellen und sich am Unterhalt finanziell beteiligen. Helfer gebe es etwa bei „Anima“ sicherlich genug, die ihre Zeit investieren würden, um die Vögel zu betreuen. Schon jetzt gibt es Vereinsmitglieder, die verletzte Tauben zur Pflege aufnehmen und wieder aufpäppeln. Kranke Tiere könnten in Schlägen schnell erkannt und behandelt werden. Brüten müssen sie übrigens trotzdem. „Eine Brut wird ihnen im Jahr erlaubt“, sagen Zickuhr und Würtz. „Das ist wichtig, da sich die Tauben sonst einen neuen Brutplatz suchen.“

Tote Tauben im Bahnhofsnetz

Die Netze und Spikes in den Bahnhöfen bleiben aber ein Problem, solange nicht alle Tauben betreut werden können. Wer sich nicht gerade verfängt, verliert bei der Landung auf einer der Spitzen einen Fuß. Ob die Bahn an ihren Abwehrsystemen in Dresden festhält, ist unklar. Eine mehrmalige Anfrage der Sächsischen Zeitung blieb unbeantwortet. „Tote Tauben, die tagelang in den Netzen liegen, sind unserer Meinung nach ein viel größeres Gesundheitsrisiko für Menschen“, sagen Arvid Zickuhr und Sergej Würtz.