Karin Schlottmann und Tobias Hoeflich
Henry Kissinger kommt kurz vor vier am Taschenberg-Palais an. Der dunkle Kleinbus hält am Sicherheitszaun, der Fahrer zeigt den Polizisten einen Ausweis. Dann öffnen die Beamten das Tor und das Fahrzeug rollt die letzten Meter zum Hoteleingang. Als der ehemalige US-Außenminister aussteigt, rufen ein paar Demonstranten laut „Henry“ und „Criminal“ (Verbrecher). „Worüber redet Ihr hier?“ Der 93-Jährige reagiert nicht, er verschwindet mitsamt seinem großen Gepäck im Hotel.
Auftakt der Konferenz
Bis zu diesem Zeitpunkt ist Kissinger der prominenteste Teilnehmer der Bilderberg-Konferenz in Dresden. Die rund 130 Gäste aus dem In- und Ausland reisen im Laufe des Donnerstags unter strengen Sicherheitsvorkehrungen der Polizei an. Ab dem Mittag landen die Privatflugzeuge der Gäste auf dem ansonsten eher ruhigen Dresdner Flughafen im Halbstunden-Takt.
Airbus-Chef Thomas Enders trifft eine halbe Stunde vor dem Amerikaner ein. Enders, der zur Lenkungsgruppe der Bilderberg-Konferenz gehört, zeigte den Fotografen am Zaun wenigstens sein Gesicht. Andere nehmen lieber den Weg durch die Tiefgarage am Hintereingang. Vermutlich aus Sicherheitsgründen steht auf der Parkplatz-Tafel die ganze Zeit „besetzt“.
Die Szene vor dem Hotel erinnert an Dreharbeiten für einen Film, in dem nicht viel passiert. Die Freifläche vor dem Eingang zum Taschenberg-Palais hat die Polizei mit einem Sicherheitszaun abgeriegelt. Immerhin hat sie den Zuschauern nicht die Sicht versperrt. Viele halten ihre Handys durch das Gitter und filmen jede noch so kleine Bewegung am roten Teppich.
Bilderberg-Gäste sind zwar in der Regel Top-Entscheider aus Wirtschaft, Politik, Finanzwelt und Militär, aber die Gesichter der meisten Teilnehmer sind in der Öffentlichkeit kaum bekannt. Jedes Mal, wenn wieder jemand aus seiner Limousine steigt, beginnt das Rätselraten. Rund 50 Fotografen, Youtuber aus den USA und Großbritannien, Polit-Aktivisten und Touristen stehen den Nachmittag über vor dem Zaun und beobachten das Treiben. Es bleibt friedlich. Manche interviewen sich gegenseitig oder diskutieren über Sinn und Unsinn der Veranstaltung. Einer verkauft Anti-Bilderberg-T-Shirts.
Hannah Borno, sie fotografiert für die britische Zeitung Guardian, hat mit ihrem Mann schon diverse Bilderberg-Konferenzen auf der ganzen Welt besucht. Sie sagt, sie hat nichts dagegen, wenn sich Unternehmer und Banker hinter verschlossenen Türen treffen. Aber gewählte Politiker dürften nicht daran teilnehmen, findet sie. Bilderberg-Meetings seien riesige Lobby-Veranstaltungen.
Auf der Sophienstraße rollen wie immer Autos, Straßenbahnen, Radfahrer und Reisebusse. Zwei Touristinnen aus New York bleiben stehen und fragen einen jungen Polizisten, was los sei. Er wollte sagen, dass sich Leute aus Politik und Wirtschaft hier treffen. Leider fällt ihm das englische Wort für „Wirtschaft“ nicht ein. Auch seine Kollegin zuckt mit den Schultern. „Economy“, sagt jemand. Die freundliche Mitarbeiterin der Dresdner Stadtführungen hat ihren Stand direkt am Zaun aufgestellt. Sie verkauft heute wenig Tickets, dafür muss sie ständig Fragen beantworten. „Ich weiß doch auch nichts. Es ist ein geheimes Treffen, sag ich immer“.
Gegen zwanzig vor sechs fährt ein geräumiger Mercedes-Van mit Polizeieskorte vor. Es ist der niederländische König Willem Alexander. Seine Frau Maxima ist nicht mitgereist. Willems Großvater Prinz Bernhard hatte zur ersten Bilderberg-Konferenz 1954 eingeladen. Die Idee dazu hatten andere, aber er wurde zur Symbolfigur der transatlantischen Gesprächsrunde. Seitdem nimmt meistens ein Mitglied des Königshauses an den Treffen teil und verleiht ihm so ein wenig zusätzlichen Glanz.
Gewahrsam wegen Drei-Pfund-Brot
Wie immer, wenn sich die Elite zum Gedankenaustausch trifft, protestieren die Gegner – jedenfalls soweit die Polizei sie lässt. Abends teilt die Polizei mit, dass ein Mann in Gewahrsam genommen wurde. Der Brite hatte ein Drei-Pfund-Brot bei sich. Da die Einsatzkräfte das Brot als mögliches Wurfgeschoss einschätzen, forderten sie den 32-Jährigen auf, die Straßenseite zu wechseln. Dieser Aufforderung kam er nicht nach. Des Weiteren hat die Polizei bezüglich eines Redebeitrages, der am Mittag auf einer Versammlung am Postplatz vorgetragen wurde, Ermittlungen aufgenommen. Es besteht der Verdacht, dass der 65-jährige Redner bei seinen Ausführungen den Holocaust leugnete. Allein am Donnerstag finden fünf kleine Versammlungen statt. Auf dem Theaterplatz steht eine „Mahnwache für den Frieden“. Auf Plakaten kritisiert die Gruppe die Vernetzung der Eliten und „hegemoniale Bestrebungen der Nato.“ Eine Kundgebung mit angemeldeten 15 000 Teilnehmern ebenfalls auf dem Theaterplatz fällt mangels Masse aus. Bei der NPD stehen um die 40 Menschen herum. Bis Sonntag sind weitere etwa 14 Demos geplant.
Die Dresdner Polizei sichert die Bilderberg-Konferenz mit täglich vier Hundertschaften. Aus Sachsen-Anhalt und Thüringen ist weitere Unterstützung eingetroffen. Die Bundespolizei kümmert sich um den Hauptbahnhof und den Flughafen. Am Zwinger liegen einige Pflastersteine lose herum. Sicherheitshalber hat jemand einen Zaun um sie herum gebaut.