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Umstrittenes Konzept in Görlitz

Obwohl der Landkreis bereits daran arbeitet, will die Stadt ein eigenes Papier zur Integration von Flüchtlingen.

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© Pawel Sosnowski/80studio.net

Von Daniela Pfeiffer

Görlitz. Denkbar knapp war diese Entscheidung: 17 Ja-Stimmen, 13 dagegen, zwei Enthaltungen. Waren sich die Stadträte über den Umgang mit in Görlitz ankommenden Flüchtlingen bislang recht einig, gingen die Meinungen zur Notwendigkeit eines Integrationskonzeptes doch arg auseinander.

Vor allem die CDU, die bis auf eine Enthaltung geschlossen dagegen stimmte, sieht kaum Sinn in einem solchen Papier. „Es geht hier um Menschen aus anderen Ländern, die zu uns kommen“, sagte der Fraktionsvorsitzende Dieter Gleisberg. „Die, die sich integrieren wollen, denen brauchen wir nichts mehr zu sagen. Und wer es nicht will, wird es nicht tun. Das werden wir akzeptieren müssen.“ Dass hier der Versuch unternommen wird, Leuten schulmeisterlich etwas vorzuschreiben, störe ihn, so Gleisberg.

CDU-Kollege Christian Wiesner sieht in einem solchen Konzept gar die Gefahr, dass es nach außen hin wie ein Zeugnis aussehe, nicht richtig gehandelt zu haben. „Das stimmt aber nicht. Wir haben als Stadt bisher alles richtig gemacht.“

Flüchtlinge willkommen heißen, sie dezentral auf Wohnungen im gesamten Stadtgebiet zu verteilen statt an einzelnen Orten zu konzentrieren – das ist die Linie der Stadt, seit die Flüchtlingswelle 2015 über Deutschland und auch Görlitz hereinbrach. Mehrfach gab es öffentlich – auch im Stadtrat – Erklärungen dazu, dass Görlitz sich dem Thema stelle und Flüchtlinge willkommen seien. So unterzeichneten schon im September 2015 alle Stadtratsfraktionen mit Ausnahme der NPD eine Erklärung für ein weltoffenes und tolerantes Görlitz mit Solidarität und Hilfsbereitschaft und gegen Populismus, Extremismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Dass sie dem folgen, stellten viele Görlitzer im März 2015 mit ihrer Teilnahme an einer Lichtkette für mehr Mitmenschlichkeit unter Beweis. Andere wiederum zeigten mit ihren Besuchen bei den „Görlitz bewegt sich"-Kundgebungen, dass sie die Flüchtlingspolitik nicht eben gutheißen.

Von außen wurde Görlitz dabei bisher als Stadt wahrgenommen, in der unaufgeregt und besonnen mit dem Thema umgegangen werde und wo es kaum Probleme mit den Neuankömmlingen gibt – abgesehen von wiederkehrenden Reibereien auf einigen Plätzen der Stadt und den jüngsten Diskussionen um die Moschee. Auch in einer Arbeitsgruppe des Städte- und Gemeindetages zum Thema Flüchtlinge ist Görlitz vertreten. Nach all den Pro-Flüchtlingsbekundungen von Stadtverwaltung und Stadtrat soll nun also ein Konzept genau festschreiben, wie sich Menschen aus anderen Ländern hier integrieren können und sollen. Mit dem Beschluss vom Donnerstag wird OB Siegfried Deinege nun zunächst beauftragt, ein Konzept zu entwickeln. Er wisse zwar noch nicht, wie er es machen soll, aber die Notwendigkeit eines solchen Papiers räumte der OB ein. „Es gibt Mitarbeiter im Rathaus, die sich permanent nur damit beschäftigen, das ist viel Arbeit, irgendwann tragen sie diese Last vielleicht nicht mehr. Deshalb ist es notwendig, Maßnahmen zu haben.“ Nach der Sommerpause werde er in die konzeptionelle Arbeit mit dem Landkreis gehen.

Wie der auf die Görlitzer Entscheidung eines eigenes Konzeptes reagiert, bleibt abzuwarten. Denn auch der Kreistag hatte im März ein Integrationskonzept auf den Weg gebracht. Bei 10000 Ausländern – das sind vier Prozent der Kreisbevölkerung, schien das den Räten angebracht. Einreicher war hier die Linke. „Wir wollen damit Antworten darauf geben, wie wir Zuwanderer in den Landkreis bekommen“, hatte der Fraktionsvorsitzende der Linken, Mirko Schultze, damals gesagt. Selbstredend legte er sich nun auch im Görlitzer Stadtrat für ein solches Konzept ins Zeug. „Es geht darum, Menschen hierher einzuladen. Wenn sie hier leben wollen, müssen wir uns darauf einlassen.“ Integration verstehe er nicht nur als Verwaltungsakt. Es seien bereits Fehler gemacht worden, die mit einem Konzept möglicherweise nicht passiert wären: „Wir hätten von allein einen Gebetsraum anbieten können, anstatt zu warten, dass Prediger kommen, von denen wir nicht wissen, was sie predigen“, sagte er in Anspielung auf die Moschee-Probleme.

Angeregt wurde ein eigenes Görlitzer Integrationskonzept von den Grünen. Stadtrat und Hochschulprofessor Joachim Schulze musste sich Vorwürfe gefallen lassen, mit seiner Beschlussvorlage Schaufensterpolitik zu betreiben und als Bundestagskandidat schon Wahlkampf zu betreiben. „Das ist es aber nicht, sondern eine Aufgabe, die uns Jahrzehnte beschäftigen wird“, sagte er. Man sehe doch in Europa, speziell in Frankreich, dass da nicht alles richtig gemacht wurde in Sachen Integration. „Diese Dinge mögen ja die Aufgabe des Landkreises sein, aber wir machen es gern selbst.“ Bürgermeister Michael Wieler betonte, welche besondere Rolle Görlitz im Landkreis schließlich spiele. Seit 2013 hat sich der Ausländeranteil in der Stadt von 4,5 auf 9,6 Prozent verdoppelt – wobei mit 3 126 Polen der Anteil der Nachbarnation am größten ist. „Wir schicken uns an, hier im Landkreis die internationale Stadt zu werden. Da ist es auch für die Verwaltung gut, etwas in der Hand zu haben, um zu wissen: Was ist überhaupt gewollt? Ich sehe nicht, wie der Landkreis seiner Kreisstadt bei diesem Thema gerecht wird.“