Merken

„Um jeden Einzelnen bemühen“

Der Bautzener Steinhaus-Chef Torsten Wiegel über junge Leute aus der Oberlausitz und Chancen, sie zu halten oder zurückzuholen.

Teilen
Folgen
NEU!
© Wolfgang Wittchen

Von Silvia Stengel

Bautzen. Dem „Kampf um die Köpfe“ widmete sich eine Konferenz in Bautzen, bei der es darum ging, wie junge Leute in der Oberlausitz gehalten oder zurückgeholt werden können. Genauso wurde gefragt, was getan werden kann, damit Fachkräfte in die Region kommen. Dazu trafen sich im November rund 90 Menschen aus den Kreisen Görlitz und Bautzen, aus der Wirtschaft, der Politik und aus Soziokulturzentren. Nach Vorträgen und Arbeitsgruppen sollen Ende Februar Ergebnisse vorgestellt und Empfehlungen gegeben werden. Die SZ sprach darüber mit Torsten Wiegel, dem Verantwortlichen der Konferenz und Geschäftsführer des Steinhauses in Bautzen.

Herr Wiegel, wir müssen die Lausitz hübsch machen, hieß es auf der Konferenz. Wie ist das gemeint?

Das ist ein Ergebnis der Konferenz, dass die Lausitz besser dasteht, als ihr Selbstbild ist. Es gibt die Meinung, dass Hierbleiben ein Stigma ist. Wer hier bleibt, hat irgendwas falsch gemacht und hat es irgendwie nicht geschafft. Man muss sich manchmal rechtfertigen, warum man noch hier ist.

Für viele Jugendliche ist klar, dass sie weggehen. Wieso hat die Lausitz bei ihnen so ein schlechtes Ansehen?

Auf der einen Seite gibt es ein Informationsproblem. Viele wissen nicht, welche Möglichkeiten es in der Region tatsächlich gibt. Das ist so ein Ansatzpunkt, das können wir verbessern. Wenn man mit Unternehmen spricht, sagen die häufig, viele wissen nicht, welche Berufsbilder es in der Lausitz gibt und wie sie vergütet werden. Es gibt große Unternehmen in der Region, die zahlen sehr gut, nicht nur Akademikern. Eine Frage ist auch: Wieviel Geld bleibt am Ende übrig? Was nutzt es mir, wenn ich in München 1 000 Euro mehr habe, aber 1 500 Euro mehr Miete zahle pro Monat? Es ist auch gar nichts Schlimmes, dass junge Leute ihre berufliche Vorstellungen dort umsetzen, wo sie das können. Worum es gehen sollte, ist, die Lausitz attraktiv zu machen für Rückkehrer.

Wenn junge Leute erst mal in einer größeren Stadt sind, wo es mehr Jobs und mehr Geld gibt und wo mehr los ist, warum sollten sie dann zurückkommen?

Natürlich hat man im Studium auch seine Freundeskreise und Partnerschaften. Dann ist es schwer zu sagen, ich komme zurück, dann muss man auch den Partner oder die Partnerin überzeugen. Aber die Frage ist: Gibt es wirklich mehr Chancen in urbanen Zentren? Da ist viel Mythologie dabei.

Mit urbanen Zentren meinen Sie Städte wie Dresden, Leipzig oder Berlin?

Ja, bei Berlin heißt es immer, da geht was. Aber Berlin ist nicht umsonst die Sozialhilfehauptstadt. Natürlich gibt es auch viele, die ihr Label gründen, weil man dort die Vom-Tellerwäscher-zum-Millionär-Geschichte auch machen kann. Es gibt aber auch viele, die wieder zurückgehen. Der Markt ist in Berlin zwar sehr groß, aber die freien Kapazitäten sind nicht genauso groß. Da sind die Startbedingungen für junge Unternehmen in der Oberlausitz manchmal besser, eben, weil es weniger Konkurrenz gibt und das Bemühen von Kammern, öffentlichen Einrichtungen und der Arbeitsagentur, das wohlwollend zu begleiten.

Dass große Unternehmen wie Vattenfall eine unklare Zukunft haben, hilft sicher nicht, das Ansehen zu stärken.

Natürlich ist das für die Lausitz ein Problem. Es wird auch Schrumpfungen geben. Aber die Lausitzer Wirtschaftsstruktur hat eine sehr gute Aufteilung. Das hat man bei der Finanzkrise gesehen, da war der Einbruch in der Lausitz viel geringer als an anderen Stellen, wo die Unternehmen globaler agiert haben. Wir haben hier viel Mittelstand und Kleingewerbe und Handwerker, die sind auch ein wichtiges Rückgrat für die Wirtschaftskraft. Die Lausitz selber hat auch einen sehr guten Anteil am Brutto-Inlandsprodukt in Sachsen.

Es gibt also auch viel Positives?

Ja, das sieht man auch bei der Familienwanderung, dass es in der Lausitz Orte mit Zuzug gibt, einfach aufgrund der hohen Lebensqualität und der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, dass es hier einen Kitaplatz gibt, das sind alles Dinge, die in Berlin unvorstellbar sind inzwischen. In der Lausitz suchen viele händeringend nach gut qualifizierten Fachkräften, auch für eine Unternehmensnachfolge. Gerade viele der Gründer gehen jetzt in den Ruhestand und müssen entscheiden, nehme ich das Unternehmen mit ins Grab, sage ich mal ein bisschen unfein, oder übergebe ich es guten Gewissens in qualifizierte Hände. Da gibt es viele Chancen, die zum Teil nicht gesehen werden.

Viele junge Leute wollen gar nicht Chef werden, sondern lieber einen Job, der sich gut mit Familie und anderen privaten Interessen vereinen lässt. Müssen da die Arbeitgeber umdenken?

Das können sie nur zum Teil. Dazu haben wir aber nicht geforscht. Das ist jetzt mein privates Bauchgefühl, dass der Trend an vielen Stellen dahin geht, dass die Leute weniger Macher, sondern lieber Mitmacher sind. Die Machergeneration in den Wende-Tagen, die gesagt hat, alles ist neu, jetzt können wir loslegen, da ist ein anderes Feuer gewesen. Jetzt hat man so den Eindruck bei Leuten, die ins Berufsleben gehen, dass sie sagen, ich will nichts falsch machen. Das ist auch nicht immer gut, das ist nicht gleichzusetzen mit Gestaltung.

Die Risikofreude fehlt?

Ja, das ist ja oft auch in den Verwaltungen so, dass man Leute hat, die mitschwimmen und sagen, da mache ich wenigstens nichts falsch, ich entscheide lieber mal nichts.

Wir sind zu bequem geworden?

Das ist ein Ergebnis unseres Wohlstandes, dass wir das Luxusproblem haben, dass Mitschwimmen reicht. Gleichzeitig steigt auch die Anspruchshaltung an das eigene Leben. Wir wollen alles vor der Tür haben. Auf der einen Seite habe ich für mich entschieden, ich möchte nicht in der Platte in Hoyerswerda wohnen, ich ziehe lieber in Wittichenau in ein schönes Eigenheim, auf der anderen Seite soll das Theater trotzdem vor der Tür sein. Die Anspruchshaltung ist sehr extrem, die hat es früher nicht gegeben, weil allen klar war, das geht so gar nicht, das kann keiner bezahlen. Da gibt es ernsthafte Probleme wie die Gesundheitsversorgung oder die Zentralisierung von Schulen, die Schulwege. Es geht es um die Frage: Wie setzen wir Ressourcen fair ein?

Mancher Unternehmer würde in eine ländliche Gegend ziehen, sagt aber, ohne schnelles Internet geht das nicht.

Da gibt es ja jetzt auch die Initiative, dass es besser werden soll, das dauert immer eine Weile. Das ist aber ein wichtiges Thema, gerade für die globalen Vertriebswege, die es heute gibt. Wir hatten auf der Konferenz Beispiele, dass in ganz kleinen Orten in der Lausitz die Leute global handeln, Produkte von ihnen in die ganze Welt gehen.

Wie die Kulturinsel Einsiedel, wo die Holzbauwerkstatt auch mit China zusammenarbeitet.

Ja, zum Beispiel. Aber auch kleinere Unternehmen und Produkte, ob das Fahrräder sind oder andere Dinge, da gibt es vieles. Insgesamt hat sich auch die Chance verbessert, eine Stelle zu finden. Aber immer mehr Stellen bleiben unbesetzt. Da müssen wir gucken: Woran liegt das?

Und woran liegt das?

Zum einem am Sinken des Bildungsniveaus. Das zeigt sich an den Zensuren. Es gibt auch immer mehr Leute ohne Schulabschluss.

Die Schlauen gehen weg, die weniger Schlauen bleiben hier?

Die Mobilen, die Fitten gehen weg und die weniger Fitten bleiben hier. Das betrifft nicht nur Jugendliche, sondern auch Familienstrukturen. Das ist es, was die Region klären muss. Wir müssen uns um jeden Einzelnen bemühen.

Manche Kinder sind in Familien groß geworden, in denen nie jemand gearbeitet hat, die nur von Hartz-IV leben.

Ja, richtig, da fehlt das Beispiel, da fehlt die Motivation. Da ist es auch für Jugendliche eine Perspektive, zu sagen, ich hartze, weil ihnen das reicht.

Kann die Soziokultur etwas ausrichten?

Nicht so, dass wir die Entwicklung umkehren. Aber wir können uns um konkrete Menschen kümmern und Brücken schaffen für Leute, die es nicht so leicht haben.

Haben Sie auch Erfolg bei denen, die „null Bock“ auf einen Job haben?

Wir haben einige Leute in unser Team integriert und zum Teil über berufsbegleitenden Maßnahmen dafür gesorgt, dass sie jetzt einen vernünftigen Job haben, vor allem in der Gastronomie und im Veranstaltungsbereich. Wir haben einige begleitet, die sich dann selbstständig gemacht haben im Bereich von Jugendkulturen, die in der Kreativwirtschaft gut unterwegs und sehr erfolgreich sind, auch eigene Firmen haben inzwischen. Für einige saßen wir zum Teil mit bei Gericht, als Leumundszeugen, weil sie ein Delikt hatten, sozusagen, weil sie illegal Graffiti gesprüht haben.

Können kulturelle Angebote helfen?

Nein, aber kulturelle Angebote können Horizonte aufmachen, wie in Hoyerswerda bei den Aktionen in einem Abrisshaus, bei denen es darum ging, wie die Menschen mit dem Schrumpfen ihrer Stadt umgehen. In Bautzen haben wir Anfang März mit Jugendlichen eine Ideenkonferenz mit den Stadträten und dem Oberbürgermeister, bei denen sie ihre Interessen artikulieren, wie Skaten und so weiter.

Und welche Vorteile hat nun die Lausitz, die besser angepriesen werden müssen? Was macht sie hübsch?

Es gibt eine sehr hohe Lebensqualität. Es gibt eine gute Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Es gibt viel mehr berufliche Chancen, als der Lausitz unterstellt wird. Es gibt eine gut aufgestellte Wirtschaft. Und es gibt natürlich wie überall Herausforderungen, die zu meistern sind. Aber wir sind nicht schlecht aufgestellt. Wenn man sich die Bevölkerungsentwicklung anschaut, da ist ja Görlitz durch den Zuzug von polnischer Seite im Wachsen begriffen. Selbst Bautzen hat jetzt wieder die 40 000er Grenze überschritten.

Spielt Kultur eine Rolle, um Fachkräfte für die Region zu interessieren?

Als sekundärer Standortfaktor ja. Auf jeden Fall gehört es dazu, dass es ein vitales Kulturleben gibt. Gerade, wenn man Fachkräften sagt, kommt doch bitte in die Lausitz, die vorher im Ausland oder in größeren Städten in Deutschland gelebt und gearbeitet haben. Was ich nicht glaube, ist, dass die Kultur die Entscheidung beeinflusst. Das werden immer die harten Fakten sein, die berufliche Perspektive.