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Übervorsichtiger Artenschutz

Die Stadt verklebt die Einfluglöcher des Turmfalken an der Spindelfabrik. Aber lohnt sich das, wenn das Dach kaputt ist?

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© Dietmar Thomas

Von Andreas Neubrand

Waldheim. Es klingt zunächst sinnvoll, gefährdete Tiere von dem Einzug in ein leerstehendes Gebäude abzuhalten, wenn dieses in Kürze abgerissen werden soll. Die Einfluglöcher an einer alten Fabrik zu verschließen, damit besonders geschützte Vögel nicht darin brüten können, während gleichzeitig das Dach fehlt, scheint weniger logisch.

Mit blauer Folie verklebte Einfluglöcher an der Spindelfabrik. Sie sollen das Einfliegen des Turmfalken verhindern,
Mit blauer Folie verklebte Einfluglöcher an der Spindelfabrik. Sie sollen das Einfliegen des Turmfalken verhindern, © Dietmar Thomas

Doch genau dies ist eine der Auflagen, welche die Stadt Waldheim erfüllen muss, damit sie die Spindelfabrik abreißen darf. „Wir haben im Februar angefangen, die Löcher mit blauer Folie zu verkleben. Damit die Turmfalken nicht mehr einfliegen“, so Bürgermeister Steffen Ernst (FDP) gegenüber dem Stadtrat. „Das war Teil der Auflage, damit wir die Fabrik überhaupt abreißen dürfen.“ Dass das Verkleben eine Auflage war, bestätigt der Pressesprecher des Landratsamtes André Kaiser.

„Der Turmfalke nistet auf überdachten Mauervorsprüngen oder in Lücken im Mauerwerk. Deswegen auch die Abdeckung bei der Spindelfabrik. Zwischen oberster Fensterreihe und Traufe des Abrissobjekts befinden sich mehrere Mauerdefekte, die auch durch Turmfalken als Nistplatz genutzt wurden“, so Kaiser.

Naturschutzbeauftragter Siegfried Reimer hält das Schließen der Einfluglöcher für wenig zielführend. „Das ist eine übervorsichtige Bestimmung, denn im März brütet der Turmfalke noch nicht.“, sagt Reimer. „Von April bis Juni ist seine Brutzeit, da müsste er besonders geschützt werden.“ Zudem sei es laut dem Experten fraglich, ob der Vogel das Angebot annimmt, zukünftig im Rathaus zu residieren. Der Turmfalke könne auch irgendwo anders in der Stadt oder im Wald wohnen. Denn der Turmfalke sei kein Nestbauer. Vielmehr lege der Vogel des Jahres 2007 seine Eier bevorzugt auf den Boden, um dort zu brüten oder er suche sich dafür ein leerstehendes Nest, wie zum Beispiel das eines Bussards. Dies bedeutet, dass er nicht eine bestimmte Nische brauche, sondern einfach nur ein ruhiges Plätzchen zum Brüten. „So lange das Dach offen ist, ist die Maßnahme sinnlos“, sagt Siegfried Reimer.

Aus seiner Sicht sei etwas anderes viel wichtiger. „So früh wie möglich die Fabrik abzureißen. Je eher, desto besser“, so der Naturschutzexperte. „Wildtiere sind sehr scheu und meiden laute Geräusche. Sollten vor der Paarung oder dem Brutvorgang die Bagger anfahren, dann würde in der Fabrik kein wildes Tier mehr wohnen. Wenn die Stadt also noch im März anfängt, könnte sie sich den ganzen Aufwand sparen und die Fabrik einfach abreißen. Der Vogel sucht sich dann einen anderen Platz“, erklärt er.

„Wir haben extra für den Turmfalken einen zweiten Nistkasten im Rathausturm angebracht“, sagt Ernst. Trotz der kritischen Stimmen zu den Auflagen des Landratsamtes, die Stadt kam nicht daran vorbei, die Einfluglöcher für den Turmfalken zu verkleben. Ohne diese Maßnahme, die die Naturschutzbehörde verlangt hatte, wäre eine Abrissgenehmigung nicht erteilt worden. Bis zum 28. Februar hatte die Stadt Waldheim Zeit, die Löcher zu verschließen und einen neuen Nistplatz für den Vogel zu schaffen. „Beiden Auflagen sind wir nachgekommen“, so Michael Wittig, Fachbereichsleiter für Ordnung und Bauverwaltung. Erst daraufhin hatte die Sächsische Aufbaubank zugesagt, das Vorhaben zu fördern.

Etwa 572 000 Euro, schätzt die Stadt, wird der komplette Abriss der Spindelfabrik kosten. Aus dem Fonds zur Revitalisierung von Brachflächen sollen bestenfalls 90 Prozent der Kosten erstattet werden.

Es war lange nicht eindeutig, wem das leerstehende Gebäude gehört. Nachdem die Eigentümerin in Texas aufgespürt wurde, verkaufte diese das Grundstück an die Stadt für 120 000 Euro.