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Überstunden für eine Königin

Seit Ende April wird die Eule-Orgel im Dom St. Petri in Bautzen restauriert. Ein überraschender Fund kippt den Zeitplan.

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© Steffen Unger

Von Miriam Schönbach

Orgelbauer Friedemann Birke kniet vor der Windlade. Neben ihm köchelt Knochenleim. In der linken Hand hält der 52- Jährige einen sogenannten Taschenkörper. Mit der rechten Hand tupft er vorsichtig mit einem Pinsel den Klebstoff auf den Fuß dieses pneumatischen Ventils. Beim Spiel gibt dieses Bauteil den Wind zur Pfeife frei. Doch noch schweigt das Instrument im evangelischen Teil des Doms St. Petri. Stattdessen sorgt das Mini aus Holz und Leder derzeit für Mehrarbeit bei der Restaurierung der Orgel durch die Bautzener Firma „Hermann Eule“.

Orgelbauergeselle Lukas Bartsch hockt in der Orgel.
Orgelbauergeselle Lukas Bartsch hockt in der Orgel. © Steffen Unger

Friedemann Birke holt sein Handy aus der Tasche. Die Bilder zeigen die Taschenkörper mit leichter Schimmelschicht. „Normalerweise hätten wir diesen Teil der Orgel gar nicht geöffnet. Wir haben keinen Schimmel vermutet, weil wir nirgends im Instrument etwas gefunden haben. Es hat störungsfrei funktioniert“, sagt Orgelbaumeister Dirk Eule. Der Ausbau, die Reinigung und der Wiedereinbau der 3 320 Taschenkörper kostet nun zusätzliche Zeit. Mit einer Spezialtinktur muss die Lederseite jedes Bauteils gereinigt werden. So wird die Orgel nicht wie ursprünglich geplant am 29. Oktober, sondern erst am Sonntag, dem 3. Dezember, wieder erklingen.

Der Knochenleim köchelt leise. Wieder holt Friedemann Birke mit dem Pinsel die klebrige Flüssigkeit aus dem Topf und betupft eines der hölzernen Bauteile unter einer Rotlichtlampe. Der Leim darf keine zähe Haut bilden, sonst verliert er seine Klebkraft. Am besten verarbeitet er sich warm. Zum Schluss jedes Handgriffs stellt der Orgelbauer ein Bleigewicht auf die Taschenkörper, um Druck auf die frisch geklebte Stelle zu bringen. – Die Restaurierung des größten Instruments, das unter dem Gründer des Orgelbauunternehmens Hermann Eule gebaut wurde, hat nach Ostern in diesem Jahr begonnen. Dabei soll der Ursprungsklang des 1909 eingeweihten Instruments wieder hergestellt werden.

Edel und voll im Ton

Bereits 1906 beschließt der Kirchenvorstand der Evangelischen Kirchgemeinde, sich von der alten Weller-Orgel aus dem Jahr 1642 zu trennen. Den Auftrag für den Neubau erhält die Werkstatt von Hermann Eule. „In dieser Zeit wurden sehr viele Orgeln neu gebaut. Im Inneren des Instruments aber steckt das modernste Pneumatiksystem seinerzeit“, sagt Dirk Eule, Geschäftsführer des Traditionsunternehmens. Zum ersten Mal erklingen die 64 Register am ersten Advent 1909. Bei der Abnahme und Prüfung der Orgel im März 1910 schwärmt Karl Straube, bedeutender Organist und Leiter des Thomanerchors Leipzig: „Die volle Orgel klingt in den weiten Hallen des Kirchenraumes edel und voll im Ton, dabei ist sie trotz des Glanzes der gemischten Stimme in der Fülle der Tonwellen von weicher Schönheit ...“

Doch durch diverse Eingriffe in die Orgel in den 1940er und den 1970er-Jahren verändert sich das romantische Klangbild der Orgel. „Es wurden Register herausgenommen oder klanglich höher gesetzt. Aber aus einem romantischen Klangkörper bekommt man keine Barockorgel“, sagt Dirk Eule. Für den Ursprungsklang werden die Veränderungen nun wieder rückgängig gemacht. Dafür mussten unter anderem elf Register – das sind die verschiedenen Familien der Orgelpfeifen – vollständig neu gebaut oder umdisponiert werden. Sechs Mitarbeiter kümmern sich um den Klang-Patienten in der Werkstatt in der Wilthener Straße, zwei Orgelbauer sind vor Ort. Insgesamt sind für die Restaurierung des Instruments 160 000 Euro veranschlagt.

Während Friedemann Birke behutsam die gesäuberten Taschenkörper einleimt, reinigt sein Kollege Lukas Bartsch die „Nervenstränge aus Blei“. Die zehn Millimeter dicken Rohre führen über dem Spieltisch der Orgel von der Taste zum Ventil. Dirk Eule schaut am Orgelprospekt nach oben. „Die Zinkpfeifen in der Vorderseite des Pfeifengehäuses werden als Nächstes ausgebaut“, sagt er. Die letzte Reinigung der Orgel liegt gut 30 Jahre zurück. Nach Feierabend hat zum Beispiel Friedemann Birke nach einem Wassereinbruch 1982 Teile des Instruments mit anderen Enthusiasten aus dem Dom geholt. Anfang der 1990 gab es eine kleine Überholung. „Eigentlich sollte man ein Instrument aller 20 bis 25 Jahre säubern“, sagt der Geschäftsführer. Damit die Zinkpfeifen nun wieder in ihrem alten Glanz erstrahlen können, werden sie zuerst bei einer Spezialfirma entlackt. Zum Beulenherausdrücken und Nachlöten kommen sie kurz in die Bautzener Werkstatt. Danach kehren sie an ihren angestammten Platz zurück. – Im November erfolgt noch die Intonation. Die klangliche Gestaltung ist insofern eine Herausforderung, als dass die neuen an die über 100 Jahre alten Register angepasst werden müssen. „Alte Pfeifen setzen Patina an. Das hört man auch“, sagt Orgelbaumeister Dirk Eule. Doch spätestens am ersten Advent wird ihr romantischer Klang im Dom St. Petri zurück sein.