Merken

Über Stock und Stein

Oelsa und Rabenau waren einst Zentrum des Orientierungslaufes in der DDR. Heute gibt es nur noch wenige Aktive.

Teilen
Folgen
NEU!
© Andreas Weihs

Von Hauke Heuer

Osterzgebirge. Ein Mensch in Laufbekleidung hetzt kreuz und quer durch den Wald. Mit wachen Augen schaut er sich um. Ohne stehenzubleiben guckt er immer wieder auf die Karte in seiner Hand. Dann ändert er abrupt die Laufrichtung und stürzt sich halsbrecherisch einen Hang hinunter. Wer so eine Szenerie während seines Wochenendspaziergang beobachtet, braucht nicht die Polizei zu rufen, weil er glaubt, einen entlaufenen Irren gesichtet zu haben. Wahrscheinlich handelt es sich um einen Orientierungsläufer, der versucht, möglichst schnell ins Ziel zu kommen.

„Normales Laufen ist uns zu langweilig“ sagt Wolfgang Schneider und lacht. Der 77-Jährige ist Mitglied im Wander- und Orientierungslauf Verein Oelsa (WOLV) und gehört zu den Urgesteinen in der sächsischen Orientierungslaufszene. Er und andere Pioniere hatten den auf den ersten Blick seltsam anmutenden Laufsport Ende der 50er-, Anfang der 60er-Jahre in der Region etabliert.

„Wir konnten nicht in die Welt, also haben wir die Welt zu uns geholt“, erinnert er sich an die ersten Begegnungen mit Sportfreunden aus Skandinavien, der Heimat des Orientierungslaufes, die den kuriosen Sport nach Ostdeutschland brachten. Der Kontakt zu den Schweden wurde bei Lauf-Wettkämpfen in Ungarn oder Bulgarien geknüpft. „Wir haben sie zu uns eingeladen. Dabei war es den Schweden gar nicht gestattet, sich in der DDR aufzuhalten – sie hatten nur Transitvisa. Das war ein gefährliches Spiel“, erinnert sich Schneider und fügt hinzu: „Noch heute ist Skandinavien das Zentrum des Orientierungslaufes. Hier nehmen teilweise 25 000 Menschen an einem Wettkampf teil.“ In den folgenden Jahren wurde der Orientierungslauf auch von Rabenau und Oelsa ausgehend in der gesamten DDR immer populärer. 1970 fand sogar die Weltmeisterschaft in Friedrichroda in Thüringen statt. Auch hier waren die Orientierungsläufer aus Rabenau maßgeblich an der Organisation beteiligt. In diesen Jahren entdeckte Torsten Mättig seine Begeisterung für den Laufsport. Der heute 52-Jährige gehört zur zweiten Generation von Orientierungsläufern, die aus Rabenau stammt. „Anders, als zu Beginn, wurde der Orientierungslauf in der DDR zu meiner Zeit gefördert“, erinnert sich der Oelsaer.

Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Das Querfeldeinlaufen und die Orientierung im Gelände galten als gute Vorbereitung auf den Militärdienst. Die Läufer müssen verschiedene Punkte auf einer Karte anlaufen. Dort bekommen sie dann einen Stempel, um im Ziel nachzuweisen, dass sie jeden Punkt in der richtigen Reihenfolge erreicht haben. Heutzutage sind auch elektronische Systeme im Einsatz, die die Läufer erfassen. „Zwar gibt es heute GPS-Geräte, die zum Schummeln einladen, aber die Bedienung dauert viel zu lange. Ein Betrug ist fast ausgeschlossen“, erklärt Mättig. Davon, dass Oelsa einst ein Orientierungslauf-Mekka war, in dem mehrmals im Jahr Wettkämpfe mit teils Hunderten Teilnehmern aus dem ganzen Land stattfanden, ist heute nicht mehr viel zu spüren. „Von einst über 50 aktiven Mitgliedern sind wir die letzten Verbliebenen. Es fehlt der Nachwuchs“, erklärt Mättig.

Doch auch heute finden in der Dippoldiswalder Heide regelmäßig Orientierungsläufe statt. „Der Sportverein Robotron Dresden und der Universitätssportverein der TU Dresden sind heute die führenden Vereine in Deutschland und veranstalten hier Wettkämpfe“, erklärt Schneider. So nahmen im Mai 750 Läufer an der deutschen Meisterschaft in der Mitteldistanz in dem Waldgebiet teil, die von Robotron Dresden organisiert wurde.

Spaziergänger, die am Sonnabend in der Dippoldiswalder Heide unterwegs sind, sollten aufpassen. Dann findet nämlich der nächste Trainingslauf statt.