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Turmfalken im Bahnhof

Die geschützten Vögel haben sich einen lauten Ort ausgesucht. Für den Investor könnten die Falken zum Problem werden.

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© Norbert Millauer

Von Nina Schirmer

Radebeul. Der Bahnhof Radebeul-Kötzschenbroda ist jetzt bewohnt. Im vorderen Gebäudekomplex ist eine Familie mit Kindern eingezogen. In eine kleine Nische. Vom Bahnsteig aus ist das Loch in der Wand zwischen den hinteren beiden Fenstern in der ersten Etage gut zu sehen. Drinnen wackelt es. Kleine graue Gestalten sind schemenhaft zu erkennen. Der Blick durchs Fernglas zeigt mehr: Zerzauste Küken mit großen schwarzen Augen und spitzen Schnäbeln sitzen dort. Es sind mindestens fünf.

Später werden sie ein braunes Gefieder mit schwarzen Flecken haben.
Später werden sie ein braunes Gefieder mit schwarzen Flecken haben. © dpa

Bei den Vögeln handelt es sich um kleine Turmfalken, denen der Lärm der Züge, die ganz knapp an ihrem Unterschlupf vorbei rauschen, offenbar gar nichts ausmacht. Eine Leserin der SZ ist fasziniert. „Für mich ist am Interessantesten, dass die Piepser sich in keiner Weise von den durchfahrenden Zügen stören lassen“, schreibt sie an die Zeitung.

Ulrich Augst wundert das nicht. Er ist Vogelspezialist im Gebiet des ehemaligen Regierungsbezirkes Dresden. „Die Vögel sind an den Lärm gewöhnt, sonst würden sie sich den Platz nicht aussuchen“, sagt er. Gestört würden die Falken nur von Geräuschen, die sie nicht kennen. Zum Beispiel im Nationalpark Sächsische Schweiz, wenn es den ganzen Winter über ruhig war und zu Ostern plötzlich Menschenmassen anrücken.

Die Falken in Radebeul sind lärmerprobt. Und ihr zu Hause ist ziemlich sicher. Denn Menschen können den Vögeln nicht nahekommen. Zwischen dem Bahnsteig, von wo man sie beobachten kann, und ihrem Nest verlaufen drei Schienen.

Dass die Küken jetzt noch nicht fliegen, ist ganz normal, sagt Ulrich Augst. Turmfalken beginnen vergleichsweise spät mit dem Brüten. „Sie brüten 30 Tage und die Jungen bleiben 32 bis 34 Tage im Nest“, erklärt der Ornithologe. Die Küken in Radebeul sind schon relativ groß und werden wahrscheinlich Ende Juli ausfliegen.

Für so große Aufregung wie die Wanderfalken, die am Hohen Stein im Lößnitzgrund genistet haben, sorgen die Turmfalken im Bahnhof aber nicht. Wegen der Wanderfalken musste der Steinbruch zum diesjährigen Karl-May gesperrt werden. Die Jungvögel dort wurden sogar beringt. Das wird bei den jungen Turmfalken nicht gemacht, sagt Steffen Wesser vom Kreisumweltamt. Es gebe so viele Turmfalken in der Region, dass man sie unmöglich alle erfassen könne. „Sie sind hier absolut heimisch“, sagt Wesser. Auch auf Kirchtürmen brüteten sie häufig. Trotzdem sind die Vögel streng geschützt. Deshalb dürfte am Bahnhofsgebäude jetzt auch nicht gebaut werden. Angenommen der Investor wollte jetzt mit dem Ausbau starten, müsste er wohl warten, bis die Vögel weg sind. Das Gleiche gilt, wenn die Vögel im nächsten Jahr wieder kommen.

Manchmal ist im Loch zwischen den Fenstern auch braunes Gefieder zu erkennen. Dann, wenn einer der Altvögel zum Füttern vorbei kommt. Die Tauben rund um den Bahnhof sind durch die Turmfalken nicht in Gefahr. Sie fangen wenn dann nur kleinere Vögel, wie Sperlinge oder Amseln, sagt Vogelexperte Augst. Aber auch das kommt eher selten vor. Wenn überhaupt können die Falken sie nur am Boden fangen. „Zu 80 Prozent ernähren sie sich von Mäusen.“

Die Jungvögel im Radebeuler Bahnhof stehen kurz vor der Mauserung. Damit das neue Federkleid wächst, müssen sie viel Calcium zu sich nehmen. Das bekommen sie aus den Knochen der Mäuse, die sie fressen. „Ein Junges braucht ungefähr drei Mäuse am Tag“, sagt Augst. Da haben die Eltern ordentlich zu tun, bei mindestens fünf Kindern. Die gefangenen Mäuse schlingen die Küken im Ganzen runter. Was ihr Körper nicht verwertet, wird wieder ausgespuckt. Sauber machen die Alten aber nicht. Das Ausgewürgte bleibt im Nest liegen. Schon im nächsten Jahr werden die Jungvögel aus Radebeul selbst nach einem Nistplatz suchen. Turmfalken sind nach einem Jahr geschlechtsreif. Hat sich ein Paar gefunden, bleibt es meist ein Leben lang zusammen.