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Tütenkunst für leere Brauerei und Robur-Ruine

In Zittau öffnet ein Kulturfestival mit 43 Künstlern alte Industrieanlagen.

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© Matthias Weber

Von Irmela Hennig

Einst gingen Tausende ein und aus bei den Zittauer Roburwerken. Der Fahrzeugbauer beschäftigte allein in der Stadt um die 3 000 Leute. 5 500 waren es, zählt man Standort wie Bautzen und Leipzig dazu. Kurz nach der Wende aber kam das Aus. Heute hat die Anlage einen polnischen Besitzer. Gelände und Gebäude des einstigen Bereichs für Eisenzuschnitt sind an einen Franzosen gegangen. Alles zusammen steht leer. Verfällt. Dächer sind teilweise eingestürzt, Fensterscheiben zerbrochen, aus Betonplatten wachsen Büsche und Bäume. Maschendrahtzäune sind aufgerissen.

Ein und aus geht hier niemand mehr. Abgesehen von diesem einen Tag im vergangenen Jahr. Da zogen Künstler ein in den Eisenzuschnitt. Aber auch in die neben Robur gelegene einstige Societätsbrauerei, in der früher „Das edle Zittauer“ hergestellt wurde und die ebenfalls seit Jahren geschlossen ist. 6 000 Besucher schauten sich Werke von 20 Malern, Grafikern, Fotografen und Installationskünstlern an. Volle Räume, viel Begeisterung. Auch gerade bei den Kunstschaffenden, die sich sonst schon mal in eine Galerie einmieten und auf gerade 200 Besucher im Vierteljahr kommen. So haben sie Frank Förster erzählt. Der Rentner, der einst noch bei Robur gelernt hat, ist der Vater des Erfolges.

Als kunstinteressierter Einheimischer wollte er für die Stadt einen Höhepunkt jenseits großer Sportereignisse schaffen. Hat sich das Projekt mit Kunst in Industrieruinen ausgedacht, die Stadtentwicklungsgesellschaft, Künstler, den Oberlausitzer Kunstverein und andere ins Boot geholt. Und das Festival „Denk-mal Kunst“ 2014 über die Bühne gehen lassen. Nun soll es eine zweite Auflage geben. Wieder soll Leben einziehen in die Brauerei, deren einstiges Verwaltungsgebäude, in Garagen, aufs Eisenzuschnitt-Gelände von Robur, auch in den Wasserturm nahe der Bahnhofstraße sowie in zehn weitere Gebäude der Stadt. Das Robur Hauptwerk an der Bahnhofstraße ist nicht dabei. Von den Garagen auf dem Brauereihof hat man aber einen guten Blick auf den Schottbau, in dem einst Einzelteile für Motoren gefertigt wurden, auf den Zeichensaal, das Haupthaus.

Im Mittelpunkt aber soll die Kunst stehen. 42 Künstler aus verschiedenen Ecken Deutschlands, aber auch aus Frankreich und Tschechien, zeigen ihre Werke. Unter ihnen ist die Dresdner Kunsthochschulabsolventin Sarah Gosdschan. „Fasziniert von Form und Farbe der Karstadt-Einkaufstüten“ hat sie daraus eine Installation geschafften, erzählt die Künstlerin. 300 Tüten zusammengefügt zum Kunstwerk „Schlingen“. Vorher aber hat die junge Frau die alten, staubigen Parkettböden im einstigen Brauerei-Verwaltungsgebäude gewischt, wo sie ausstellen wird.

Auch historische Technik zu sehen

Noch ist es an vielen anderen Stellen staubig. Doch das wird sich bis zum Wochenende ändern. Trotz Putzkolonne – das leicht verfallene Flair will Organisator Frank Förster erhalten. Will die alte Mustertapete an der Wand der Küche belassen, den abgetretenen Textilbelag, den alten Sicherungskasten. Manch Überbleibsel ist ohnehin selbst ein Kunstwerk. Darunter ein Kamin mit handbemalten holländischen Kacheln.

Die riesigen Fenster in diesem Raum geben den Blick ins Grüne frei. Hier wird Gisela Hafer ein großflächiges Textilwerk zeigen. Die gebürtige Zittauerin war ursprünglich Diplomingenieurin und Textilgestalterin. Sie hat bei Robur gelernt, lebt aber seit Langem in Frankfurt/Main. Ihre Arbeiten sind heute sogar öffentlich in New York ausgestellt.

In den Garagen der einstigen Brauerei wird Uwe Stange seine (Handwerks-)Kunst rund um das Thema Upcycling präsentieren. Dabei werden ausgediente Dinge zu etwas Neuem verarbeitet oder zusammengesetzt. Der Zittauer Uwe Stange macht aus Ölfässern Sitzmöbel, aus alten Jeans Stehtische und aus einem Surfbrett eine Dusche. Für ihn ist das Festival „Denk-mal KUNST“, dieses Jahr läuft es im Rahmen vom Tag des offenen Denkmals, auch eine Gelegenheit, um andere für seine Arbeit zu begeistern, Mitstreiter zu finden und vielleicht neue Räume, erzählt Frank Förster.

Eine Jury hat die Künstler unter 45 Bewerbern ausgewählt. Hat auf Vielfalt geachtet – unterschiedliche Genres, Arbeitsweisen, Materialien und auch Lebensalter der Maler, Grafiker und Co. Und schließlich kommen sogar Technik- und Bierfans auf ihre Kosten. Denn im Boot für die Zittauer Veranstaltung ist mit der Beschäftigungsgesellschaft ABS Robur ein Expertenteam für historische Roburfahrzeuge. Eine Auswahl will die GmbH zum Festival präsentieren. Ein Lkw Granit 27, Baujahr 1953, der als Skelett mit Motor und rostiger Karosserie noch in den Garagen steht, wird von Künstlern sogar für eine Installation genutzt. Außerdem bietet ABS Robur Führungen durch die Ex-Brauerei an. Unter anderem in die zwölf Meter tiefen Keller. „Dort wurde bei zwei Grad plus einst Eis gelagert, um das Bier zu kühlen. Das Eis hat sich vom Winter bis in den August gehalten“, erzählt Peter Hoyer von ABS Robur.

Was die Kunst angeht, kann Frank Förster, der einst selbstständig einen Fahrradladen betrieben hat, eine klare Vision für die Zukunft beschreiben. Ein Zittauer Kunst- und Künstlerzentrum in einem Industriebau – mit Ateliers und vielen Entfaltungsmöglichkeiten. So etwas, wie in Kirschau im einstigen Textilkombinat Vegro entstanden ist. Dort haben Künstler die Ateliergemeinschaft „Im Friese“ aufgebaut und arbeiten nun in den einst leerstehenden Fabrikräumen.

Platz für so ein Vorhaben gebe es auch in Zittau genug, weiß Frank Förster und schaut trotzdem zweifelnd die hohe Backsteinmauer des halb verfallenen Roburwerks hinauf. Hier wird das wohl eher nichts. Zu marode die Substanz, zu schwierig die Eigentumssituation, zu hoch die Kosten. Aber an anderer Stelle sei so etwas denkbar, wenn sich Geld dafür findet. Für „Denk-mal KUNST“ hat Frank Förster zumindest schon einen Träger gewinnen können – das Soziokulturzentrum Hillersche Villa. Er selbst organisiert ehrenamtlich. „Als Rentner habe ich dafür jetzt ja Zeit“, sagt Frank Förster. Ein halbes Jahr Vorbereitungsarbeit sei locker nötig.

Mit Horst Jurtz aus Weißwasser, Peter Israel aus Neugersdorf oder dem Zittauer Bernd Kremser hat er bekannte Gesichter der Oberlausitzer Kunstszene für das Festival gewonnen. Und fürs nächste Jahr hat er eine weitere Runde im Blick. „Das Festival soll zu einer dauerhaften Größe in Zittau werden“, wünscht sich Förster. Für junge Künstler könne es ein Startfeld sein, auch um Erfahrungen mit Ausstellungen zu sammeln. Andere bekommen hier den Anstoß, selbst aktiv zu werden.